16.10.2004

Autonomie am Lebensende – Sterbehilfegesetz für Deutschland

I. Ziele einer gesetzlichen Regelung

Die Diskussion über das Thema Sterbehilfe wird durch den medizinisch-technischen Fortschritt und dem Demographischen Wandel in Deutschland zwangsläufig wieder an Fahrt gewinnen. Sterbehilfe ist in vielen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Belgien oder der Schweiz bereits heute gesetzlich geregelt. In Deutschland gibt es indes keine ausdrückliche Regelung der Sterbehilfe im Strafgesetzbuch.

Die Jungen Liberalen fordern daher ein nationales Sterbehilfegesetz. Es ersetzt alle bisherigen gesetzlichen Regelungen. In ihm soll geregelt und zusammengefasst werden, was unter konkreten Bedingungen ärztlicherseits getan bzw. unterlassen werden darf, soll oder muss. Nur auf diese Weise können die Grauzonen und Unklarheiten der gegenwärtigen Gesetzeslage beseitigt und allen Betroffenen und Beteiligten – Patienten, Ärzten, Pflegenden, Gerichten – die Unsicherheit über die bestehende Rechtslage genommen werden.

Ziele einer gesetzlichen Regelung in Deutschland müssen sein:

  • den Willen bzw. das Recht jedes unheilbar Kranken zu stärken und durchzusetzen, über sein Leben und Sterben sowie über Art, Umfang, Fortsetzung oder Abbruch medizinischer Maßnahmen selbst zu bestimmen.

  • den behandelnden Ärzten Spielräume für eine Hilfe beim Sterben unheilbar Kranker zu eröffnen, diese aber auch zu begrenzen, sowie seinen Anspruch zu sichern, an Handlungen der Sterbehilfe, die seinen ethisch/moralischen Überzeugungen widersprechen, nicht beteiligt zu werden.

  • Missbräuche der Sterbehilfe im Sinne der Verfolgung von anderen als im Wohl und Willen des Patienten begründeten Zwecken zu verhindern.

II. Der Wille des Patienten ist für Liberale entscheidend

Die in Deutschland gängige Unterscheidung von passiver, indirekter und aktiver Sterbehilfe ist aus Sicht der Jungen Liberalen wenig hilfreich. In der philosophischen Ethik-Diskussion besteht weitgehend Einigkeit, dass in einer konkreten Situation Tun und Unterlassen im gleichen Sinne kausal wirksam den Tod herbeiführen können. Ebenso besteht weitgehend Einigkeit, dass es angesichts eines elenden Endes für einen Menschen mit seinem Verständnis von Würde (die er und kein anderer bestimmt!) vereinbar ist, den Tod herbeizuwünschen und gegebenenfalls herbeizuführen. Falls er dazu selbst nicht in der Lage ist, kann auch die assistierte Sterbehilfe aus liberaler Perspektive durchaus vertretbar sein natürlich nur, wenn die Willensbekundung des Betreffenden eindeutig ist.

Festzuhalten bleibt außerdem, dass sich in Deutschland in nur etwa fünf Prozent aller Fälle überhaupt die Frage nach Sterbehilfe stellt. Es sich also um kein Alltagsphänomen, sondern um eine Ausnahmesituation.

Folgende Eckpunkte muss ein deutsches Sterbehilfegesetz beinhalten:

  1. Erleidet eine Person als Folge eines Unfalls oder einer Erkrankung anhaltendes unerträgliches Leiden, macht eine anhaltende und unerträgliche Notlage geltend, oder leidet sie unter einer unheilbaren degenerativen und tödlichen Krankheit, hat sie das Recht auf Sterbehilfe, wenn sie der Auffassung ist, dass sie sich auf Grund der Beeinträchtigung ihrer Würde und ihrer Lebensqualität in einer Lage befindet, in der sie ihr Existenz nicht fortsetzen möchte. Dieses Recht besteht nur, wenn die Person physisch nicht mehr dazu in der Lage ist, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen.

  2. Derjenige, der diese Hilfe leistet, begeht keine strafbare Handlung, sofern er sich vorher vergewissert hat, dass die volljährige Person ihr Verlangen in freier, bewusster und wiederholter Willensäußerung erklärt hat und sie sich unter medizinischen Gesichtspunkten in einer Lage befindet, in der keine wesentliche Besserung eintreten kann.

  3. Bevor dem Wunsch nach Sterbehilfe stattgegeben wird, muss die Person durch den behandelnden Arzt, der mindestes einen weiteren Kollegen hinzugezogen hat, klar und umfassend über ihren Gesundheitszustand sowie über die Möglichkeiten des Einsatzes von schmerzlindernden Maßnahmen informiert worden sein. Dieses ist in einem entsprechenden Protokoll festzuhalten, das von dem hinzugezogenen Arzt zu unterzeichnen ist.

  4. Die Willensbekundung nach Sterbehilfe muss drei Mal im Abstand von mindestens drei Tagen schriftlich oder mündlich vor einem unabhängigen Notar erfolgen.

  5. Hat eine Person, die physisch nicht in der Lage ist, um Sterbehilfe zu bitten, eine vorgezogene Willenserklärung schriftlich vor einem unabhängigen Notar abgegeben, die nicht länger als fünf Jahre zurück liegt, muss dieser unbedingt Folge geleistet werden, ohne dass demjenigen, der sie umsetzt, strafrechtliche oder berufliche Folgen daraus entstehen.

  6. Jede volljährige Person kann für den Fall, dass sie nicht mehr in der Lage sein sollte, ihren Willen zu bekunden, in einer Erklärung (Patientenverfügung) schriftlich vor einem unabhängigen Notar ihren Wunsch nach Sterbehilfe für den Fall festhalten, wenn der Arzt feststellt, dass

    • – sie unfallbedingt oder pathologisch bedingt schwer und unheilbar erkrankt ist und

    • – sie nicht bei Bewusstsein ist (z.B. Wachkoma, Herstillstand) und

    • – dieser Zustand nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft irreversibel ist.

  7. In der Erklärung können weiterhin eine oder mehrere volljährige Vertrauenspersonen in der Reihenfolge ihrer Präferenz bezeichnet werden, die den behandelnden Arzt über den Willen des Patienten in Kenntnis setzen. Sie kann jederzeit widerrufen werden. Selbstverständlich kann diese Erklärung auch vorbehaltlich einer endgültigen Entscheidung durch zu bestimmende Angehörige formuliert werden.

    Ist die Person körperlich zur Abfassung und Unterzeichnung nicht in der Lage, kann ihre Erklärung vor einem unabhängigen Notar schriftlich festgehalten werden.

  8. Abgesehen von zusätzlichen Bedingungen, die er für seinen Eingriff erfüllt sehen möchte, muss der Arzt vorab:

    • einen anderen Arzt zur Frage der Irreversibilität des medizinischen Zustands des Patienten konsultieren und ihn über die Gründe der Konsultation unterrichten. Der konsultierte Arzt prüft die Krankenakte und untersucht den Patienten. Er verfasst einen Bericht über seinen Befund. Der konsultierte Arzt muss dem Patienten sowie dem behandelnden Arzt gegenüber unabhängig sein und über Fachkompetenz in Bezug auf die betroffene Erkrankung verfügen.

    • mit dem Pflegeteam, das in regelmäßigem Kontakt mit dem Patienten steht, sprechen, sofern ein solches besteht,

    • mit einer Vertrauensperson des Patienten, sofern eine solche in der Erklärung benannt ist, über den Wunsch des Patienten sprechen sowie mit Angehörigen des Patienten, die dem Arzt bekannt sind oder ihm von der Vertrauensperson benannt werden.

  9. Eine Person, die Sterbehilfe geleistet hat, hat dieses innerhalb von vier Werktagen gegenüber einer Landeskontroll- und Bewertungskommission zu erklären, deren Zusammensetzung durch Verordnung bestimmt wird. Form und Inhalt dieser Erklärung werden ebenfalls durch Verordnung festgelegt.
    Die Kommission prüft die Erklärungen über Sterbehilfe, die ihr übermittelt werden. Sie überprüft, ob die Maßnahme entsprechend den in diesem Gesetz und der Durchführungsverordnung festgelegten Bedingungen und Verfahren durchgeführt worden ist. Sie kann den behandelnden Arzt auffordern, ihr alle Bestandteile der Krankenakte vorzulegen. Sie nimmt innerhalb von zwei Monaten nach Befassung Stellung. Ist sie mehrheitlich in ihrer Stellungnahme zu der Auffassung gekommen, dass die Bestimmungen dieses Gesetzes nicht eingehalten worden sind, leitet der Vorsitzende der Kommission den Vorgang an den zuständigen Staatsanwalt weiter.

  10. Ein Arzt oder Angehöriger des Gesundheitswesens kann sich einem Wunsch nach Sterbehilfe unter Berufung auf die Gewissensklausel widersetzen. Verweigert der konsultierte Arzt diese, ist er gehalten, den Patienten oder die in der Erklärung benannte Vertrauensperson unverzüglich darüber zu informieren. Liegt von einem Patienten, der in eine für die aktive Sterbehilfe relevante Situation gerät, keine Patientenverfügung vor, darf nicht auf einen auf Aussagen von Angehörigen gestützten mutmaßlichen Willen zurückgriffen werden.

III. Palliative Care und Hospizarbeit

Palliative Care ist die umfassende Behandlung und Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen. Sie umfasst sowohl mit der Palliativmedizin eine angemessene medizinische Versorgung der Patienten mit Schmerztherapie und der Linderung quälender Begleiterscheinungen, als auch die Pflege für psychische, soziale und seelsorgliche Bedürfnisse.

Für die Sterbenden, die keine Krankenhausbehandlung mehr benötigen, sorgt die Hospizarbeit, auch mit ehrenamtlichen Helfern, für die Pflege dieser Bedürfnisse.

Wir, die Jungen Liberalen sehen in diesem Weg das beste Mittel, um das Sterben so menschenwürdig wie möglich zu gestalten. Momentan können aber nur 2,1 % aller Sterbenden eine Palliative-Care-Versorgung und 4,4 % eine Hospizliche Versorgung in Anspruch nehmen. Die Weiterbildung eines Pflegenden, die ihn für die Palliative Care befähigt, ist bundesweit unterschiedlich und nicht geregelt. Viele Sterbende kennen zusätzlich die Möglichkeiten der Sterbebegleitung nicht. Deshalb fordern wir:

  • Eine Ausweitung des Netzwerkes von Hospizen und Palliativstationen

  • Eine gesetzlich gewährleistete Kostenübernahme von Palliative-Care- und Hospizleistungen

  • Eine bundesweit vereinheitlichte Weiterbildung der Pfleger, die in der Palliative-Care und in der Hospizarbeit tätig sind

  • Die Aufklärung jedes Sterbenden oder Schwerkranken über die Möglichkeiten der Sterbebegleitung durch den behandelnden Arzt sowie durch eine Informationskampagne.

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