Deutschland braucht mehr Betreuungsplätze.

Die Gemeinde Hofstetten im Schwarzwald hat es vorgemacht und auf steigende, beziehungsweise veränderte Bedarfe, in der frühkindlichen Bildung reagiert, seit Martin Aßmuth 2018 zum Bürgermeister der Gemeinde Hofstetten gewählt wurde. Mittlerweile sind aus ehemals drei Kita-Gruppen sechs entstanden. Hofstetten hat nicht nur massiv Plätze geschaffen. Für 6,5 Millionen EUR ist ein ökologisch vorbildlicher neuen Kindergarten in Massivholzbauweise zentral am Ortseingang gebaut worden. Die räumlichen Voraussetzungen für die Einrichtung einer siebten Gruppe wurden geschaffen, so dass die Einrichtung Platz für 30 Kinder unter drei Jahre und für bis zu 110 Kinder über drei Jahre in der Endausbaustufe bietet. Für die Gemeinde und besonders für den Bürgermeister war dies die letzten fünf Jahren eine große finanzielle und emotionale Belastung, denn Hofstetten war als finanzschwache Kommune im Ländlichen Raum auf Fördermittel von Bund und Land angewiesen. 

„Auch wir hatten zu wenig Kita-Plätze, im Bestand platzten wir aus allen Nähten und das alte Bestandsgebäude aus dem Jahr 1972 entsprach nicht mehr den rechtlichen und pädagogischen Anforderungen an eine moderne Betreuung“, berichtet Martin Aßmuth. Hofstetten erging es wie vielen anderen Kommunen im Ortenaukreis, dem flächenmäßig größten Landkreis in Baden-Württemberg. Mehr als 50% der Städte und Gemeinden konnten den seit 2013 geltenden Rechtsanspruch auf Betreuung ab einem Jahr nicht erfüllen. Obwohl vielerorts intensive Anstrengungen zurückliegend unternommen wurden, reichen die geschaffenen Plätze oft nicht aus, den Bedarf zu decken. Heute geht man in Baden-Württemberg von bis 60.000 fehlenden Kita-Plätzen aus. „Fast in jeder Branche klagen wir über fehlende Fachkräfte. Wir scheitern in Deutschland immer noch zu oft daran, dass wir insbesondere den daheim gebliebenen Eltern die Rückkehr ins Erwerbsleben nicht so ermöglichen können, wie Familien und Betriebe dies bräuchten. Dafür ist elementar, dass lokal oder in der Nähe ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht“, so Hofstetten Rathauschef.

Die bundesweite Betrachtung ergibt kein besseres Bild. Noch immer gibt es zu wenig Kita-Plätze. 2023 fehlen bis zu 384.000 Plätze, wie die Bertelsmann Stiftung über das Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme errechnet hat. Um die Zahl der fehlenden Kita-Plätze in allen Bundesländern zu ermitteln, wurden die Betreuungsquoten der Kita-Kinder mit dem Anteil der Eltern abgeglichen, die im gleichen Jahr in der Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) einen Betreuungsbedarf äußerten. In Ostdeutschland geht man von einer Lücke von 21.200 aus, im Westen dagegen von 362.400. Nur in Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen sind ausreichend Kita-Plätze vorhanden. Der größte Gap besteht in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 100.000 Plätze fehlen. 

Gleichzeitig ist zu betrachten, dass der Erzieher-Beruf schon heute ein Mangelberuf ist. Rund 98.600 Fachkräfte fehlen laut Studie, Baukosten für die Schaffung der Plätze nicht eingerechnet. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat 2019 einen Investitionsbedarf von bis zu 50 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre allein im Bereich der frühkindlichen Bildung errechnet. Genau hier setzte das Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ an, welches die Städte und Gemeinden bei der Schaffung von Betreuungsplätzen zurückliegend über Jahre unterstützte. 

„Die unbefriedigende Situation vor Ort hatte für großen Unmut gesorgt. In vielen Familien in Hofstetten müssen beide Eltern arbeiten und waren daher auf einen Betreuungsplatz angewiesen. In den Nachbarkommunen sind bis heute Plätze rar, die Wartezeiten betragen zum Teil bis zu neun Monate. Das war bereits im Februar 2018 großes Thema der Bürgerschaft in meinem Wahlkampf und mir war klar, da muss ich substanziell ran“, erzählt Martin Aßmuth.

So fanden zahlreiche Gespräche mit Eltern, Elternbeiräten und Kita-Personal statt. Nach Amtsantritt wurden gemeinsam Machbarkeitsstudien und Standortanalysen erarbeitet, ehe im Mai 2019 der Gemeinderat in öffentlicher Sitzung die Entscheidung für einen Kita-Neubau gefällt wurde. Das Regierungspräsidium schrieb zur Beantragung von Bundes- und Landesmitteln eine europaweite Ausschreibung der Planungsleistungen vor, was für den Bürgermeister zusätzliche Bürokratie bedeutete. 

Aßmuth bat die Wahlkreisabgeordneten um wohlwollende Begleitung und Hofstetten stellte den Antrag auf Bundesmittel für das Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung 2017-2020“, welche laut Verwaltungsvorgaben später Grundlage für den Erhalt weiterer Landesmittel hätten sein sollen. In Baden-Württemberg bezeichneten selbst die oberen Landesbehörden ein Folgeprogramm als Formsache. Schon 2019 konnten 383 Anträge aus dem Bundesinvestitionsprogramm mit einem Volumen von 95,25 Millionen Euro wegen ausgeschöpfter Fördertöpfe nicht mehr bedient. Die Spitzenverbände erachteten ein Folgeprogramm als Formsache.

So begann für den Bürgermeister eine Odyssee im Kampf um Fördermittel, da die damalige Familienministerin Franziska Giffey (SPD) im November 2019 kurzfristig entschied das Programm zum 31.12.2019 auslaufen zu lassen. Aßmuth sammelte vier gleichermaßen im Kreis betroffene Bürgermeister ein und intervenierte bis ins Familienministerium und richtete Unterstützungsbitten an Politiker in Land und Bund. 13 weitere Bürgermeister aus der Region schloßen sich im Januar 2020 Aßmuth Vorhaben eine Fristverlängerung zu erreichen an. Damit nicht genug. Er richtete eine Petition an den Deutschen Bundestag richtete, Eltern vor Ort unterstützten ihn. So sammelte man gemeinsam binnen kurzer Zeit 2.000 Unterstützer. Zahlreiche Medien berichteten und der Druck erhöhte sich dergestalt, dass die Thematik auf die Tagesordnung vieler Abgeordneter in Berlin rückte. 

„Das war eine sehr schwierige Zeit. Unser Projekt hing in der Schwebe und die Notwendigkeit Betreuungsplätze zu schaffen wurde im Bund erstmal nicht flächendeckend ernst genommen. Der Bund verschob Zuständigkeitsfragen zum Land und das Land wieder zum Bund“, so Aßmuth. „Die Reaktion der damaligen Kultusministerin in Baden-Württemberg war sehr enttäuschend. Selbst die Regierungspräsidentin unterstützte uns und wir haben Vorschläge gemacht, wie man den Kommunen helfen könnte, zum Beispiel mit einer abschnittsweisen Förderung.“

Doch letztlich lohnte sich der lange Atem und Einsatz von Martin Aßmuth, dessen Initiative Wirkung zeigte und zahlreiche Unterstützer auf Bundes- und Landesebene fand. Die Frist eines Bundesgesetzes wurde inzwischen 2x geändert und 2020 und 2021 stellte die damalige Große Koalition aus CDU und SPD jeweils 500 Millionen EUR für den Ausbau von Betreuungsplätzen zur Verfügung. Seine Gemeinde erhielt 284.000 Euro Bundesförderung und weitere 700.000 EUR Landesmittel, sowie zusätzlich 727.000 Euro aus einem KFW-Programm für nachhaltiges und energieeffizientes Bauen. „Wenn man als kleine Gemeinde sagen kann, dass man nachweislich die Änderung eines Bundesgesetzes mit angestoßen hat und letztlich an 152 Millionen EUR Förderung für baden-württembergische Kommunen ein bisschen mit konkreten Anteil hat, so ist das schon besonders und dann war es den Stress wert“, berichtet er.

Zwischenzeitlich ist die Kita „Sterntaler“ fertiggestellt und seit wenigen Wochen mit leuchtenden Kinderaugen in Betrieb. Doch zufrieden ist Martin Aßmuth noch lange nicht. Das Land Baden-Württemberg will jetzt einmalig 105 Millionen EUR in die Hand nehmen, um nicht bediente Bedarfe aus dem letzten ausgelaufenen Bundesprogramm abzufedern.“ Für den Bürgermeister ist das zu wenig und ein Tropfen auf den heißen Stein. „Die Betreuungslücke hat sich weiter vergrößert. Es hat jetzt vier Jahre gebraucht, um meine und die Hinweise anderer aus 2019 aufzugreifen. Die Baukosten sind inzwischen explodiert und die Kinder, die damals schon einen Betreuungsplatz gebraucht hätten, gehen heute in die Schule. Das ist unbefriedigend und ich erwarte, dass sowohl Land als auch Bund mehr für die frühkindliche Bildung tun. Das ist gut für die Kinder, gut für die Eltern und gut für die Wirtschaft.“ 

Die Ampel-Regierung schreibt im Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ auf Seite 93 über ein weiteres Investitionsprogramm und auch der 2021 beschlossene Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 wirft seine Schatten voraus. Aßmuth sieht Letzteren kritisch, denn neben nicht vorhandenen Fachkräften würden immer neue staatliche Leistungsversprechen die Funktionsfähigkeit der schon heute überforderten staatlichen Systeme ohne Not belasten. „Aus den Kitas werden Fachkräfte, die wir nicht haben, zur Ganztagsbetreuung in der Grundschule abgezogen. Städte und Gemeinden haben in den Schulen bauliche Veränderungen in Höhe von hunderten Millionen Euro vor der Brust. Wir sollten erst einmal bundesweit Sorge tragen, dass wir den bestehenden Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr bedienen können. Der Koalitionsvertrag hat bereits ein paar Tage auf dem Buckel. Ich habe Verständnis, dass die globalen Probleme in der Welt ohne Zweifel eine Prioritätenanalyse der Ampel erforderten. Ich halte ein neues Investitionsprogramm für die frühkindliche Bildung für unerlässlich. Dieses muss dauerhaft Verankerung finden und darf keine Eintagsfliege bleiben. So kann es gelingen, die aktuellen Missstände wieder in eine positive Richtung zu lenken. Wir unterstützen mit einem Investitionsprogramm unsere Kommunen, die Kinder, Eltern und auch die Wirtschaft in doppelter Hinsicht. Der Bedarf ist immens und wir müssen auch in wirtschaftlich schwieriger werden Zeiten Sorge tragen, dass Bildungschancen genutzt und Erwerbsstrukturen verbessert werden. Dafür will ich mich weiter engagiert einsetzen. Es wäre toll, wenn die JULIS dies mit aufgreifen und mit uns Kommunen zusammenarbeiten würden“, erklärt Martin Aßmuth abschließend.

Autor

Samuel Kessler

ist Chefredakteur der jung+liberal. Gebürtig kommt er vom Bodensee, mittlerweile lebt er aber als Student in München. Als junger Gründer interessiert er sich insbesondere für die wirtschaftlichen und unternehmerischen Fragen unserer Zeit. Du erreichst ihn unter samuel.kessler@julis.de

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