KUHLE-Interview für Jugendmagazin move36

FULDA. Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, gab move36, dem Jugendmagazin der Fuldaer Zeitung das folgende Interview. Die Fragen stellten Markus Weißmüller und Mariana Friedrich (http://www.move36.de/osthessen/news/artikel/-/2015/08/04/interview-konstantin-kuhle/):

 

Nun bist du bereits mit 13 Jahren der Jugendorganisation der FDP, den JuLis, beigetreten. Worin siehst du den Grund für die Politikverdrossenheit bei Jugendlichen, und was ist dein Geheimtipp, um das zu ändern?
KUHLE: Ich glaube, junge Menschen haben zu großen Respekt und Hemmungen vor der Politik. Wenn ich mit jungen Menschen darüber spreche, warum sie sich nicht politisch engagieren, höre ich immer wieder den Spruch: „Ich habe doch keine Ahnung von Politik.“ Das ist ehrenwert und ehrlich, verkennt jedoch, dass auch viele Ältere nur wenig über Politik wissen. Andere glauben hingegen, dass sie neben Schule, Ausbildung oder Job zu wenig Zeit für eigenes Engagement hätten. Dabei muss man ja nicht gleich jedes Wochenende opfern. Oftmals reicht es, wenn man alle paar Wochen zu einem politischen Treffen geht und eine gute Idee einbringt. Ich kann deshalb nur jedem mehr Mut zum Engagement wünschen – egal in welcher Partei.

Ist das einer der Gründe, aus dem du dich für die Legalisierung von Cannabis stark gemacht hast?
KUHLE: Ich glaube, dass Politik oft das Problem hat, dass sie die Lebensrealität junger Menschen nicht anerkennt. Immer dann, wenn Menschen versuchen, über eine Bevölkerungsgruppe zu bestimmen, aus der sie selbst nicht stammen, läuft man Gefahr, aus dem Blick zu verlieren, was diese Menschen wirklich beschäftigt. Seien wir ehrlich: Für junge Leute gibt es schon heute keine großen Hürden, um an Gras zu kommen. Kiffen zu bestrafen funktioniert längst nicht mehr. Stattdessen kostet die Verfolgung von Kleinstkonsumenten Polizei und Justiz viel Kraft und den Staat viel Geld. Ich glaube, man sollte Cannabis freigeben, für Volljährige, ähnlich wie das bei weichen Drogen wie Nikotin und Alkohol der Fall ist. Das haben übrigens erst kürzlich mehr als 100 Strafrechtsprofessoren gefordert. Das bei Polizei und Justiz eingesparte Geld könnte man dann einsetzen, um Menschen zu helfen, die ein echtes Drogenproblem haben. Das wäre kluge Politik.

Und wie kommt deine Einstellung darüber bei den älteren Politikern an?
KUHLE: Beim FDP-Bundesparteitag mussten wir natürlich viel Überzeugungsarbeit leisten. Wenn man sich mit einem so heiklen Thema beschäftigt, schlägt einem zunächst Unverständnis entgegen. Überraschenderweise waren letztlich aber einige der ältesten Politiker die größten Befürworter unserer Forderung. Das hat sehr geholfen, denn es hat verhindert, dass die Delegierten dachten: „Okay, das ist hier so ein JuLi-Ding.“ Stattdessen haben die verschiedenen Generationen gut zusammengearbeitet. Als sich dann auch noch erfahrene Ärzte für unseren Antrag ausgesprochen haben, war das Ding gegessen. Jetzt vereinen sich die Interessen der Generationen, wenn es um das Geld geht.

Stichwort: Geld. Für die Schuldenminimierung macht ihr euch stark. Wie passt das aber mit den 8,6 Millionen Euro Schulden in der eigenen Partei zusammen? (Quelle: Frontal21)
KUHLE: Du hast Recht: Uns Liberalen ist es wichtig, die Staatsverschuldung so niedrig wie möglich zu halten. Das heißt aber nicht, dass wir prinzipiell jede Form von Schulden ablehnen. Schließlich kann das Aufnehmen von Krediten zur Finanzierung wichtiger Investitionen auch sinnvoll sein. Nehmen wir das Beispiel einer Brücke, die zwei Städte miteinander verbindet. Wenn die Bürger beschließen, dass diese Brück sinnvoll wäre, dann kann man den Bau auch mit Hilfe eines Kredits finanzieren, weil die Verschuldung heutigen und künftigen Generationen in Form von Infrastruktur nützt. Nutzen und Verschuldung müssen aber in einem vernünftigen Verhältnis stehen, damit man die Schulden später wieder zurückzahlen kann – das gilt auch für die FDP. Deshalb merkt man derzeit, dass der Gürtel enger geschnallt wird. So sind wir JuLis beispielsweise mit unserer Bundesgeschäftsstelle, die früher in einem anderen Gebäude war, ins Thomas-Dehler-Haus der FDP gezogen. Wenn die Zeiten schwerer werden, zieht man sozusagen wieder bei den Eltern ein. Aber da gibt es trotzdem eine große Unabhängigkeit. Dazu muss man noch sagen, dass der Großteil der Arbeit bei den Jungen Liberalen ehrenamtlich passiert. Ich bekomme beispielsweise eine Aufwandsentschädigung, die liegt bei 75 Euro im Monat. Davon kann man natürlich nicht leben.

Gerade sind Brandanschläge auf Flüchtlingsheime wieder in den Medien. Auch in Fulda ist die Debatte vor kurzem hochgekocht. Was ist deine Meinung zur Flüchtlingspolitik?
KUHLE: Ich finde in der Flüchtlingspolitik erstmal wichtig, dass man eine ehrliche Ansage in Richtung der Bevölkerung macht. Und diese Ansage kann nicht lauten „Wir können keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen“. Der Strom der Menschen, die in Europa Schutz suchen, wird weiter zunehmen. Die Politik ist gefordert, die Initiative zu ergreifen und kluge Lösungen zu finden. Trotzdem ist es natürlich auch ein gesellschaftliches Problem. Mich beängstigt vor allem, dass wir uns scheinbar schon an Brandanschläge auf Unterkünfte oder an flüchtlingsfeindliche Aufmärsche zu gewöhnen scheinen. Das darf auf keinen Fall geschehen, hier müssen wir alle stärker für die Offenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft eintreten.

Was können die politische Bürokratie und auch die Bevölkerung konkret tun, um den Flüchtlingen die Integration zu erleichtern und Brandanschläge zu verhindern?
KUHLE: Wir müssen versuchen, die Menschen stärker zusammen zu bringen. Diejenigen, die schon länger hier leben und diejenigen, die neu zu uns kommen, müssen die Chance erhalten, sich gegenseitig kennenzulernen. Ein sinnvoller Weg ist die möglichst dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge. Zum Beispiel in Einliegerwohnungen von Familien, die freiwillig helfen möchten. Denn eines ist klar: Je größer und abgeschotteter die Flüchtlingsunterkünfte, desto schwieriger gestaltet sich die Integration. Wichtig ist außerdem, dass Flüchtlinge schnelleren und leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sprachkursen bekommen. Hier ist vor allem der Bund gefragt, die Kommunen in ihrer schwierigen Situation zu unterstützen. Sie müssen endlich mit am Tisch sitzen, wenn über sie gesprochen wird. Außerdem müssen wir uns bemühen, die Asylverfahren zu beschleunigen. Die deutsche Bürokratie ist dabei ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es gut, dass jeder Asylantrag einzeln geprüft wird. Andererseits dauern die Verfahren viel zu lange. Deshalb sollten wir uns genau überlegen, in welchen Fällen vereinfachte Verfahren ausreichen.

Bist du der Meinung, dass die Unterbringung in Europa ebenfalls dezentral verlaufen sollte, sprich jedes Mitgliedsland einen gewissen Prozentsatz aufnimmt?
KUHLE: Ja, das finde ich richtig. Das gleiche System haben wir ja auch schon in Deutschland. Nach der Erstaufnahme werden die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt, wo sie dann bleiben. So wird verhindert, dass einzelne Bundesländer, wo viele Flüchtlinge ankommen, die Last alleine tragen müssen. Genau das brauchen wir auch in Europa. Denn die bestehende Dublin II-Verordnung, nach der ein Flüchtling nur in dem Mitgliedsstaat Asyl bekommt, in dem er in die EU eingereist ist, funktioniert längst nicht mehr. Sonst gäbe es in Deutschland schließlich kaum Flüchtlinge. Offen gesagt kann man Dublin II schon heute in die Tonne treten. Hier muss sich dringend etwas ändern. Zur Ehrlichkeit gehört jedoch auch dazu, dass eine solche Änderung nicht dazu führen wird, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Das sollte jedem klar sein.

Fändest du, als Verfechter des europäischen Bundesstaates, dass man die Probleme Europas einfacher lösen könnte, wenn die EU mehr Kompetenzen hätte? Und steht dies nicht im Kontrast zur liberalen Selbstbestimmung?
KUHLE: Ganz im Gegenteil: Ein Europäischer Bundesstaat heißt nicht, dass die EU einfach mehr Kompetenzen bekommt. Stattdessen würde er dazu führen, dass wir neu darüber nachdenken, welche Kompetenzen am besten auf europäischer Ebene und welche auf Ebene der Mitgliedsstaaten angesiedelt sind. Was mich am bisherigen System stört, ist, dass viele wichtige Entscheidungen in Hinterzimmer-Nachtsitzungen der Staats- und Regierungschefs getroffen werden. Transparente Demokratie sieht für mich anders aus. Hier muss Europa besser werden, sonst verlieren die Menschen den Glauben an dieses großartige Projekt. Das kann ich ihnen auch nicht verübeln. Wie will man schließlich erklären, dass beim griechischen Referendum erst 60 Prozent der Menschen mit „Nein“ stimmen, man jedoch später in Brüssel noch härtere Sparmaßnahmen beschließt. Auf derartige Formen der „Fakebeteiligung“ kann man verzichten. Stattdessen sollten wir wieder mehr Anstrengung darauf verwenden, den Menschen das europäische Projekt besser zu erklären.

Inwiefern verstößt deine Forderung nach Erklärung gegen die Aussage der Bundeskanzlerin, dass man den Grexit nicht mehr erwähnen soll?
KUHLE: Ich halte nichts von Denk- und Sprechverboten. Das löst den Konflikt genauso wenig, wie mehr Geld. Das Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion kann auch Vorteile haben – wie etwa die Möglichkeit der Abwertung ihrer Währung. Aber ein Grexit ist nur einstimmig möglich. Wenn ihn Griechenland nicht möchte, wird er nicht kommen. Das muss man wissen.

Von der Selbstbestimmung Griechenlands zur Selbstbestimmung der Bundesländer – was hältst du von der Abschaffung der Bundesjugendspiele?
KUHLE: Oh man! Ehrlich gesagt bin ich bei den Bundesjugendspielen nie über die Teilnehmerurkunde hinausgekommen. In meinem Abschlussbuch stand: „Seine größte Schwäche ist der 800-Meter-Lauf.“ Trotzdem muss ich natürlich anerkennen, dass sie eine gewisse Tradition haben. Allerdings sagt mir meine liberale Gesinnung, dass es besser wäre, wenn jeder freiwillig über seine Teilnahme entscheiden könnte. Das ist genau wie beim vegetarischen Tag in Schulkantinen. Auch hier sollte die Selbstbestimmung der Schüler im Vordergrund stehen. Aber Bewegung ist natürlich wichtig … außer für mich. (lacht) Na ja, seit einiger Zeit bin ich zumindest in einem Fitnessstudio angemeldet.

Um bei den schulinternen Diskussionen zu bleiben. Findest du, dass das Abi durch die anwachsende Zahl an 1er-Durchschnitten an Wert verliert?
KUHLE: Da ich in Niedersachsen mein Abitur gemacht habe, kann ich das nur bedingt sagen. Dort hatten wir im Gegensatz zu Hessen drei Leistungskurse im sogenannten „Profilabitur“. Als LKs hatte ich Deutsch, Englisch und Politik. Zudem musste ich in Mathematik keine Abiturprüfung schreiben. Das hätte meinen Schnitt sonst sicher deutlich runtergezogen. Ich kann der Behauptung, dass das Abitur an Wert verlieren würde, aber nur schwer etwas abgewinnen. Ich würde eher sagen, sie ist eine Floskel – ganz nach dem Motto: „Früher war alles besser.“ Klar ist doch, dass früher nur etwa zehn Prozent eines Jahrgangs das Abitur gemacht haben. Heute sind es um die fünfzig. Das allein berechtigt jedoch nicht zu sagen, dass das Abitur abgewertet wurde. Wir haben uns dazu entschlossen, mehr Menschen den Zugang zur Hochschule zu ermöglichen, und dann muss es auch möglich sein, dass mehr Menschen das Abitur machen. Denn die Zahl der Abiturienten hat mit ihrem Können erst mal gar nichts zu tun. Wenn mehr junge Menschen einen bestimmten höheren Leistungsstandard erreichen, finde ich das gut. Da sollten wir nicht immer gleich so pessimistisch sein.