KUHLE-Gastbeitrag zur Flüchtlingssituation für das „Handelsblatt“

Vor dem Hintergrund der dramatischen Flüchtlingssituation und anlässlich der andauernden innenpolitischen Debatte um den richtigen Umgang mit nach Deutschland geflohenen Menschen schrieb der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, heute den nachfolgenden Gastbeitrag für „Handelsblatt“ (http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gastkommentar-von-julis-chef-kuhle-was-loest-die-fluechtlingskrise-in-uns-aus/12468386.html):

 

Was löst die Flüchtlingskrise in uns aus?

Glaubt man der vor kurzem vorgestellten Shell-Jugendstudie 2015, dann blicken so viele Jugendliche in Deutschland optimistisch in die Zukunft, wie seit langem nicht. Die Autoren der Untersuchung geben sich selbst erstaunt, dass der Optimismus der jungen Generation angesichts der weltweit schwierigen Lage sogar noch zugenommen habe. Dieser Optimismus passt nicht zu der öffentlichen Diskussion über Flüchtlinge. Schließlich ist aus dem beherzten „Wir schaffen das!“ der Bundeskanzlerin innerhalb weniger Wochen eine von Angst und Verzagtheit geprägt Debatte geworden. Mit dieser Haltung werden wir die aktuellen Probleme nicht lösen!

Man sollte tatsächliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht kleinreden. Klar ist, dass Städte, Gemeinden und Landkreise viel zu spät von den Herausforderungen erfahren, die sie oft mit vielen Freiwilligen vor Ort meistern müssen. Offenkundig ist auch, dass wohlwollende Ermutigungen keine winterfesten Quartiere aus dem Boden schießen lassen und, dass Bürgermeister und Landräte sich fragen müssen, wann ihre Kapazitätsgrenzen erreicht sind. Auch werden wir mit einer ehrlicheren Debatte in Deutschland sicher nicht die Fluchtursachen in anderen Teilen der Welt beseitigen. Die Herausforderungen der heutigen Flüchtlingskrise werden uns aber hierzulande für viele Jahre beschäftigen. Wollen wir den panischen Krisenmodus deshalb zur täglichen Arbeitseinstellung werden lassen?

Seit wenigen Wochen macht der seltsame Satz „Deutschland wird sich verändern“ die Runde. Guten Morgen! Wer erst im Sommer 2015 bemerkt hat, dass Deutschland sich in einem massiven Veränderungsprozess befindet, dessen politisches Urteilsvermögen darf mit Fug und Recht angezweifelt werden. Von der Alterung der Gesellschaft über die Digitalisierung der Wirtschaft und das Großprojekt der Energiewende bis zu einer Vielzahl internationaler Konflikte – die Triebkräfte und Megatrends der modernen Welt werden die Art und Weise, wie wir leben, beeinflussen und verändern. Wer meint, Angst vor Veränderung damit kanalisieren zu können, dass er sie auf Flüchtlinge projiziert, der verspricht eine Gleichung, die am Ende nicht aufgeht.

Die Frage muss lauten: Was löst die Flüchtlingskrise in uns aus? Sind es Angst, Endzeitstimmung und Lethargie? Oder ist es eine Aufbruchsstimmung, die uns zu institutionellen Reformen antreibt?

Die derzeitige Lage fördert etliche Baustellen zu Tage: So liegen die Probleme der Flüchtlingsunterbringung oft genug an der deutschen Rechtslage und Bürokratie. Die Dauer bis eine neue Aufnahmeeinrichtung gebaut werden kann oder Asyl-Anträge gestellt werden können, muss radikal verkürzt werden. Übereifrige Landesgesetzgeber, die europäische Vergabestandards sogar noch überbieten wollen, verhindern, dass Geld schneller für Hilfsmaßnahmen ausgegeben werden kann.

Gleichzeitig sind jedoch auch Rufe danach, Kriegsflüchtlinge von vornherein pauschal vom Asylrecht auszuschließen und sie nur zu dulden, um dadurch den Bearbeitungsstau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu bekämpfen, nicht hilfreich. Ein solches Vorgehen könnte drastisch nach hinten losgehen. Schließlich schwebt über dem Status der Duldung immer das Damoklesschwert der Abschiebung. Wir erwarten zu Recht, dass Flüchtlinge die Werte des Grundgesetzes akzeptieren und sich über den Erwerb von Sprachkenntnissen und einen Arbeitsplatz in die Gesellschaft integrieren. Wie soll das funktionieren, wenn erfolgreiche Integration mit einer Abschiebung beantwortet wird? Das kann keine gangbare Vorgehensweise sein.

Der Zustrom von vielen unterschiedlichen Menschen nach Deutschland sollte stattdessen Anlass sein, ein neues Einwanderungsrecht zu beschließen. Das Institut des Asyls hat mit Qualifikation rein gar nichts tun. Ob ich politisch verfolgt bin oder nicht, entscheidet sich schließlich nicht danach, ob ich studierter Ingenieur oder ungelernter Arbeiter bin. Gerade für viele Menschen vom Westbalkan, die immerhin die zweitgrößte Gruppe unter den derzeit nach Deutschland Strebenden ausmachen, bringt ein modernes Einwanderungsrecht mehr als haufenweise abgelehnte Asylanträge. Für Menschen, deren Asylantrag besonders lange bearbeitet wird oder die sich in der rechtlichen Sackgasse einer Duldung befinden, sollte es möglich sein, sich unabhängig von ihrer rechtlichen Situation auf offene Stellen zu bewerben.

Doch auch ein großer Teil jener Menschen, die heute kommen, müssen integriert werden. Erst kürzlich hat Deutschland die Hürden für den Arbeitsmarkt mit der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns massiv heraufgesetzt. Dabei zeigen die Erfahrungen aus allen erfolgreichen Einwanderungsländern dieser Welt, dass es bei der Integration von Menschen vor allem darauf ankommt, ihnen Gelegenheiten und Chancen zu bieten, aktiver Teil der Gesellschaft zu werden. Doch das gelingt nicht durch monatelanges Alimentieren mit Sozialleistungen, durch faktische Arbeitsverbote oder durch Hürden im Bildungssystem. Es gelingt mit einem offenen Arbeitsmarkt und offenen Bildungsinstitutionen. Wir müssen schneller Sprachkurse anbieten und es den zu uns kommenden Menschen ermöglichen, sich selbst eine ökonomische Lebensgrundlage zu schaffen.

Dabei müssen Integrationsimpulse nicht vom Staat ausgehen. Auch aus der Gesellschaft heraus kann Flüchtlingen mit klugen Projekten geholfen werden kann. Kürzlich haben mehrere Studenten mit der Kiron University eine eigene Bildungseinrichtung für Flüchtlinge gegründet. Mit einem Online-Vorbereitungskurs lernen die Studenten der neuen Hochschule während des ersten Jahres auf eigene Faust und können sich anschließend nach einer bestandenen Zwischenprüfung weitere bereits erworbene Zertifikate an Partnerhochschulen anrechnen lassen und weiter studieren. Gerade Menschen, deren Qualifikationen nicht in Deutschland anerkannt werden, können auf diese Weise schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Es sind der Optimismus und die Tatkraft solcher Projekte, die die Flüchtlingskrise in uns auslösen sollte.