KUHLE-Gastbeitrag zum Mindestlohn für „Handelsblatt Online“

Zum heute im Deutschen Bundestag verabschiedeten „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ schieb der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, folgenden Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“ (http://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/apo/ausserparlamentarische-opposition-mindestlohn-der-zweite-politische-fehlgriff/10143984.html):

 

Mindestlohn – der zweite politische Fehlgriff

Andrea Nahles beglückt die fußballbegeisterte Nation mit einer neuen Wohltat – dem Mindestlohn. Doch der ebnet auf niedrigem Niveau den Fleiß und die Anstrengung junger Menschen ein – und wird fatale Folgen haben.

Kurz vor der Sommerpause versucht die Große Koalition die fußballbegeisterte Nation mit einer weiteren Wohltat zu beglücken. An diesem Donnerstag hat Andrea Nahles ihr „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ durch den Deutschen Bundestag gebracht. Neben der Tarifautonomie bleiben durch dieses Vorhaben jedoch vor allem die Lebenschancen junger Menschen auf der Strecke – der allgemeine gesetzliche Mindestlohn geht in die falsche Richtung. Nach dem generationenungerechten Rentenpaket, welches die Große Koalition trotz massiven Widerstands vieler Rentenexperten kürzlich durchgesetzt hat, folgt nun der zweite ordnungspolitische Fehlgriff innerhalb weniger Wochen. Genau wie das Rentenpaket wird der Mindestlohn der Großen Koalition fatale Folgen für junge Menschen haben.

Die Ablehnung eines Einheits-Mindestlohns hat nichts mit fehlender Empathie für die Lebenswirklichkeit von Menschen zu tun, die von ihrer Arbeit nicht leben können. Es ist Fakt, dass Politik und Staat nicht tatenlos zusehen dürfen, wenn ein Arbeitnehmer mit einem Vollzeit-Job nicht über die Runden kommt. Es ist jedoch ebenso Fakt, dass viele Menschen, beispielsweise eine alleinerziehende Mutter oder Studierende mit Nebenjob nicht Vollzeit arbeiten wollen oder können. Ein Stundenlohn von 8,50 Euro bringt diesen Menschen rein gar nichts. Ganz im Gegenteil: Für viele von ihnen wird die Einkommensquelle ersatzlos wegfallen. Das macht mehr Menschen zu Transferleistungsempfängern. Der Einheits-Mindestlohn vergrößert so den Graben zwischen Menschen, die Arbeit haben und solchen, die Arbeit suchen und sie möglicherweise über den Weg einer Teilzeitstelle finden.

Der Mindestlohn der Großen Koalition ebnet auf niedrigem Niveau den Fleiß und die Anstrengung junger Menschen ein. Wozu sollen sie eine Ausbildung machen oder sich weiter qualifizieren, wenn das Lohnergebnis in manchen Regionen am Ende das gleiche wie bei ungelernten Arbeitskräften ist? Der Einheits-Mindestlohn ist blind für den Aufstiegswillen des Einzelnen.

Zwar hat die Große Koalition in letzter Minute noch einige Ausnahmen für Pflicht- und Kurzzeitpraktika von Studierenden eingeführt. Doch die bei vielen beliebten Praxissemester von vier bis sechs Monaten wird es künftig nicht mehr geben. Denn jedes freiwillige Studienpraktikum über drei Monate Dauer hinaus muss ab 2015 voll vergütet werden – in der Regel mit rund 1.400 Euro pro Monat. Dieses Geld muss auch ein Praktikant zunächst für seinen Arbeitgeber erwirtschaften. Gerade bei Praktikumsstellen, die der praxisnahen Aus- und Weiterbildung junger Menschen dienen, ist das häufig kaum möglich. In der Konsequenz werden viele Praktikumsstellen wegfallen.
Fairerweise muss gesagt werden: Zukünftige Akademiker werden trotz der Probleme bei der Praktikumswahl nicht am Mindestlohn der Großen Koalition zugrunde gehen. Doch der Blick ins europäische Ausland zeigt, dass gerade schlechter ausgebildete junge Menschen durch zu hohe Hürden keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Je schlechter ausgebildet ein junger Mensch ist, umso stärker verhindert ein Einheits-Mindestlohn sein persönliches Fortkommen. Der gut gemeinte Mindestlohn schädigt damit jene am meisten, die er schützen will.

Die Große Koalition verschließt die Augen vor der Vielschichtigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland. Diese unterscheiden sich nicht nur nach der persönlichen Lebenssituation, sondern auch nach den Regionen. So macht es einen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer mit 8,50 Euro im ländlichen Brandenburg oder im urbanen München auskommen muss. In Wahrheit kalkulieren die Mütter und Väter des angedachten Mindestlohn-Modells in manchen Regionen längst mit der Aufstockung des Lohns durch Arbeitslosengeld II – diese zu verhindern war jedoch gerade ein Motiv des schwarz-roten Projekts. Richtig ist, dass die Gewerkschaften in manchen Regionen und Branchen nicht mehr über ausreichend Durchschlagskraft verfügen, um den Arbeitnehmern zu einer starken Verhandlungsposition zu verhelfen. Die Antwort darf jedoch nicht eine weitere Schwächung der Tarifautonomie sein.

Im Bundestagswahlkampf wurde noch jede Ausnahme vom Mindestlohn als marktradikaler Sozialdarwinismus abgekanzelt. Nach den Langzeitarbeitslosen hat die SPD auf den letzten Drücker eine weitere Gruppe ausgemacht, für die sich eine Ausnahme vom Mindestlohn lohnt. In einem Akt beispielloser Klientelpolitik plant die Große Koalition nun, Zeitungszusteller von der 8,50-Euro-Regelung auszunehmen. Die SPD selbst ist an zahlreichen Medien- und Verlagshäusern beteiligt. Dies passt zu den Fehltritten führender SPD-Politiker, die ihren Praktikanten keine 8,50 Euro pro Stunde zahlen wollten. Wo die Verfechter eines Mindestlohns selbst dafür zur Kasse gebeten werden, schaffen sie sich geschickte Schlupflöcher oder schmeißen die Praktikanten hochkant raus.

Die SPD täte gut daran, die eigene betriebswirtschaftliche Erkenntnis auf das gesamte Gesetzesprojekt zu übertragen und den Einheits-Mindestlohn zu begraben. Denn gut gemeinte Symbolpolitik richtet oftmals mehr Schaden an, als dass sie nützt.