KUHLE-Gastbeitrag zum Mindestlohn für Ehrenamtliche für „Die Zeit“

Zur Debatte um einen Mindestlohn für ehrenamtlich Engagierte schieb der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, folgenden Gastbeitrag für das Politikressort der heutigen Ausgabe von „Die Zeit“ (Nr. 30/2014, S. 9):

 

Ehre statt Cash – Freiwillige sollten unbezahlt bleiben

In seinem Artikel Mindestlob statt Mindestlohn, (ZEIT Nr. 27/14) wirft Jonas Rosenbrück die Frage auf, ob den rund zwölf Millionen ehrenamtlich engagierten Deutschen die Anerkennung für ihre Arbeit in Form einer finanziellen Entlohnung verwehrt bleiben darf. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass sie für ihre Arbeit auch Geld bekommen sollten; schließlich betonten doch alle Seiten immer wieder, wie wichtig dieser Beitrag für die Gesellschaft sei.

Die These trifft einen wunden Punkt. Denn in einigen Bereichen führt die Art und Weise, wie die Deutschen ihren sozialen Zusammenhalt organisieren, tatsächlich dazu, dass sich die Lasten zu sehr auf die Schultern Einzelner verlagern. In früheren Zeiten ersparte ein Heer an unterbezahlten Zivildienstleistenden den öffentlichen Trägern oft die Bezahlung qualifizierter Pflege­ und Betreuungskräfte. Daraus abzuleiten, dass alle freiwilligen Helfer, von Trainern in Sportvereinen bis zu den Pfadfindern, künftig für ihre freiwilligen Dienste bezahlt werden sollten, geht allerdings zu weit.

Freiwillige haben zweifellos mehr Anerkennung verdient. Vielen Menschen ist
vermutlich nicht bewusst,
welch wertvollen Beitrag andere tagtäglich ehrenamtlich
für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Würde man diesen Beitrag in Geld
aufwiegen, erreichte man jedoch nicht mehr Anerkennung, sondern das genaue Gegenteil.

Viele Freiwillige kennen die Frage „Und was bekommst du dafür?“ aus Gesprächen im persönlichen Umfeld. Lautete die Antwort künftig etwa „8,50 Euro pro Stunde“ und nicht mehr „Dankbarkeit und die Gewissheit, das Richtige zu tun“, würde der gesellschaftliche Wert der Tätigkeit sinken. Es ist mittlerweile erwiesen, dass eine wichtigere Rolle von materiellen Faktoren wie Geld die Motivation für freiwillige Dienste schwächt. Kurz gesagt: Wer das Ehrenamt bezahlt, der macht es auf Dauer kaputt.

Menschen engagieren sich in ihrer Freizeit in Vereinen, Krankenhäusern oder Schulen, weil sie davon überzeugt sind, ihren persönlichen Interessen außerhalb des Berufsalltags besser nachgehen zu können. Für viele gehören heutzutage Teilhabe und Selbstverwirklichung selbstverständlich zu einem erfüllten Arbeitsleben dazu. Die Sicherung des Lebensunterhalts durch Arbeit steht für die große Mehrheit der Menschen aber weiterhin an erster Stelle. Vielleicht lösen sich die starren Grenzen zwischen Beruf, Familie und Ehrenamt in Zukunft mehr und mehr auf. Eine solche Entwicklung zu forcieren, indem das Ehrenamt zum Beruf gemacht wird, hieße aber, die Lebensrealität vieler Freiwilliger zu ignorieren.

Will man das Ehrenamt aus dem Staatshaushalt finanzieren, hieße das auch, jede Tätigkeit und jeden Freiwilligen in ein bürokratisches Entlohnungssystem zu pressen. Schon heute klagen viele ehrenamtliche Initiativen über bürokratische Belastungen. Ob sich Kreativität, Eigeninitiative und Innovation in einer staatlichen Ehrenamtsverwaltung besser entfalten können als in der Selbstorganisation des Bürgers, darf bezweifelt werden.

Ein Freiwilliger kann selbst entscheiden, in welchem Umfang er sich für seine Mitmenschen einsetzt. Unterschiedliche Menschen haben in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens ganz eigene Vorstellungen davon, wie sie ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten wollen. Würde dieser auf einem Arbeitsvertrag mit dem Staat beruhen, erfüllte der Freiwillige am Ende nur seine Pflicht. Im staatlichen Ehrenamtsapparat würde jeder nur noch das Nötigste machen. Vom Ehrgefühl, mit der eigenen Persönlichkeit ein bestimmtes Amt auf die eigene Art und Weise auszufüllen, bliebe in einer solchen Ehrenamtsindustrie kein Platz.

Mit dem Modell »Ehrenamt gegen Cash« würde einer ganzen Generation von jungen Menschen ein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein aberzogen. Schon heute haben manche Vereine, etwa im ländlichen Raum, massive Nachwuchssorgen. Gerade in solchen Regionen sind es die Sportvereine oder die Freiwillige Feuerwehren, die für ein Mindestmaß an Zusammenhalt sorgen. Schwer vorstellbar, dass sich junge Leute, die sich für ein Ehrenamt interessieren, mit dem Schreiben von Rechnungen und Preislisten beschäftigen, auf denen am Ende womöglich ihr spezielles »Ehrenamtsprodukt« nicht enthalten ist. Dabei sollten die Willigen ihre Zeit und Energie doch dem Ehrenamt widmen.
Egal, ob es sich um die lokale Initiative gegen Neonazis handelt, den ehrenamtlichen Richter oder das Bündnis für eine familienfreundliche Stadt – viele Ehrenämter beruhen darauf, von Menschen ausgefüllt zu werden, die in einem bestimmten Thema verwurzelt sind. Dies kann ein Rechtsanwalt sein, der nach Feierabend Flüchtlinge berät, oder die Lehrerin, die am Wochenende Brötchen für Blutspender schmiert. Beide sind als Freiwillige glaubwürdiger und überzeugender, als sie es in einem Bezahlmodell wären. Erst recht, wenn der Anwalt seine Kollegen und die Lehrerin ihre Schüler zum Mitmachen animieren will. Zudem sind es auch die Expertise und die Kontakte aus dem beruflichen Umfeld, die im Ehrenamt einen Mehrwert entfalten.

Wer gesellschaftliche Wertschätzung nur anhand der Bezahlung für eine Tätigkeit misst, redet genau jener Ökonomisierung sozialer Werte das Wort, die er eigentlich anprangern will. Ein funktionierendes Gemeinwesen lebt auch von individuellen Einstellungen, die es nicht selbst erzwingen kann. Darin liegt das Risiko, aber auch der Charme eines Systems, in dem individuelle Bindungskräfte stärker sind als gut gemeinte staatliche Wohlfahrt.