KUHLE-Interview für „Die Welt“

BERLIN. Im Zusammenhang mit dem laufenden Bundestagswahlkampf gab der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, der Zeitung „Die Welt“ das nachfolgende Interview (https://www.welt.de/politik/deutschland/article168158176/Wir-sagen-nicht-Oh-Gott-die-Kinder-haengen-nur-vor-dem-Handy.html). Die Fragen stellten Ricarda Breyton und Tobias Heimbach.

In der FDP-Kampagne gibt sich Christian Lindner betont cool. Geht es bei der Kampagne eigentlich nur um einen jugendlichen Stil oder auch um jugendliche Inhalte?

KUHLE: Natürlich geht es um jugendliche Inhalte. Wir sind eine Partei, die wirklich die Digitalisierung voranbringen will. Wir sagen nicht: Oh Gott, durch die neue Technik gehen Arbeitsplätze verloren und die Kinder hängen nur noch am Handy. Wir gucken erst mal auf die positiven Möglichkeiten. Außerdem wollen wir endlich das Bildungssystem gerecht gestalten. Menschen mit guten Ideen wollen wir Aufstiegschancen eröffnen – gerade denjenigen aus Migrantenfamilien und bildungsfernen Schichten.

Viele verbinden die FDP bislang nicht mit dem Kampf für eine gerechte Bildungspolitik.

KUHLE: Früher wurde die FDP sehr viel stärker mit dem Bildungsthema identifiziert, das muss sie sich erst wieder zurückerkämpfen. Deswegen machen wir mit dem Thema Wahlkampf. Deswegen haben wir in NRW das Bildungsministerium besetzt – weil wir ganz bewusst gesagt haben: Wer mit Bildung Wahlkampf macht, der muss auch beweisen, dass er es kann.

An einer Reform der Bildungspolitik sind schon viele gescheitert. Was schlagen Sie denn vor auf Bundesebene?

KUHLE: Ein ganz zentrales Thema ist die finanzielle Ausstattung unseres Bildungssystems. Die Schulen stehen vor enormen Herausforderungen: Sie sollen Flüchtlinge integrieren, sie sollen sich digitalisieren – fordern wir ja auch – und dann sollen sie auch noch Inklusion betreiben. Das kann man gar nicht alles finanzieren. Deswegen sagen wir als FDP: Wir müssen dahin kommen, dass der Bund in der Bildungsfinanzierung eine stärkere Rolle übernimmt, zum Beispiel, indem er einen Prozentpunkt mehr von der Umsatzsteuer zweckgebunden an die Länder gibt für Bildungsausgaben.

Noch immer halten euch viele in unserer Generation für eine neoliberale Partei für Besserverdienende. Haben sie Recht?

KUHLE: Neoliberal – was soll das sein? Falls damit gemeint ist: Eine Partei, der wirtschaftliche Freiheit besonders wichtig ist, absolut! Das muss auch so sein, weil wir das Alleinstellungsmerkmal brauchen. Denn sonst gibt es gar keinen Grund, die FDP zu wählen. Auch die Grünen sind gegen den Überwachungsstaat. Die CDU ist für wirtschaftliche Freiheit. Aber wenn man beides will – wirtschaftliche Freiheit und gesellschaftliche Freiheit – dann landet man bei uns.

Was sagen Sie eigentlich jungen Erwachsenen, die einen befristeten Arbeitsvertrag haben – und deswegen wenig Möglichkeiten, eine Familie zu gründen oder in ein Eigenheim zu investieren?

KUHLE: Zunächst einmal: Ich kann gut verstehen, dass das ein Problem ist. Aber ein pauschales Verbot befristeter Verträge lehnen wir ab. Es würde doch wahrscheinlich genau die treffen, die man eigentlich schützen will. Wenn die Unternehmen nur unbefristete Verträge anbieten dürfen, wird der Berufseinstieg für junge Menschen noch schwerer.

Heißt: Sie haben das Problem erkannt, aber anpacken wollen Sie es nicht.

KUHLE: Also zumindest nicht mit denselben Vorschlägen, die etwa die SPD macht. Vielleicht unterhalten wir uns mal darüber, wie sich die Arbeitswelt verändern wird. Wir glauben, dass sich über neue Technologien in Deutschland ein Wachstumspotenzial generieren lässt, das dazu führt, dass mehr Arbeitsplätze entstehen. Das dürfen wir nicht mit zu vielen Regeln einschränken. Es entstehen ständig neue Berufsbilder. Vor 20 Jahren hätten wir es zum Beispiel nicht für möglich gehalten, dass heute kaum mehr ein Unternehmen ohne Social Media Manager auskommt.

Auch ein Social Media Manager wird sich über einen unbefristeten Arbeitsvertrag freuen, wenn er zum Beispiel eine Familie plant.

KUHLE: Klar. Aber heißt das, dass es ein Recht auf unbefristete Verträge geben muss? Ich bin ja offen für Vorschläge. Aber nach dem Auslaufen der Befristung wird sich ein Unternehmen dann möglicherweise für eine andere Bewerberin oder einen anderen Bewerber entscheiden, anstatt dem Social Media Manager einen unbefristeten Vertrag zu geben. Ich glaube nicht, dass wir mit einem starren Verbot von Befristungen Leuten wirklich helfen.

Jetzt klingt alles sehr nah am FDP-Wahlprogramm. Setzen Sie sich gar nicht von der Mutterpartei ab?

KUHLE: Doch. Es gibt immer große Unterschiede. Wir haben die FDP beim Thema Drogenpolitik sehr lange vor uns hergetrieben. Inzwischen setzt sich die FDP für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis ein.

Und jetzt?

KUHLE: Sind wir beispielsweise der Meinung, dass das FDP-Rentenkonzept nicht weit genug geht. Da wird das Thema private Vorsorge nicht stark genug in den Vordergrund gerückt. Anders als die FDP haben wir auch die Auffassung, dass man nicht nach Afghanistan abschieben sollte. Wir haben auch einen Dissens bei der doppelten Staatsbürgerschaft. Die FDP hat ein Kompromissmodell im Programm stehen, wir befürworten die doppelte Staatsangehörigkeit aus vollem Herzen.

Das sehen viele Deutsche anders.

KUHLE: Wir haben doch die ganze Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft nur, weil dieses Land über 40, 50 Jahre hinweg behauptet hat: „Ne, ne, wir sind kein Einwanderungsland, ihr seid nur Gastarbeiter.“ Und diesen Irrtum gibt es auch in vielen Gastarbeiterfamilien bis heute. Da können wir die Leute doch jetzt nicht dazu zwingen, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Wir fordern, dass alle Menschen, die sich hier integrieren und arbeiten, nach vier Jahren das Recht auf Einbürgerung haben.

Wo liegen die Grenzen der Liberalität? Ist ein fünf Jahre altes Mädchen mit Kopftuch okay oder nicht okay?

KUHLE: Natürlich ist ein fünf Jahre altes Mädchen mit Kopftuch okay. Ich frage mich, wie irgendeine andere Antwort staatlich durchgesetzt werden soll. Sollen wir in die Familien rein und sagen: „So. Jetzt werden hier die Kleidervorschriften der Mehrheitsgesellschaft durchgesetzt“? Das finde ich komisch. Es ist nicht Aufgabe des Staates, irgendwelche privaten oder religiösen Vorlieben zu verbieten, die sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen.

Soll die FDP nach der Wahl in die Opposition oder in die Regierung?

KUHLE: Mal sehen. Es ist das Wichtigste, dass wir erstmal überhaupt wieder im Bundestag vertreten sind.

Das könnte man so interpretieren, als traue sich die FDP die Regierungsverantwortung nicht zu.

KUHLE: Ich weiß. Aber wir wollen natürlich auch nicht sagen: Hoppla, wir sind wieder da. Und: Wo sind die Dienstwagen? Wo die Ministerien? Wir wollen den Eindruck vermeiden, die FDP könne es gar nicht erwarten, Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen.