Präambel
Die Jungen Liberalen stehen für eine Sicherheitspolitik, die sich an den objektiven Bedrohungen und den tatsächlich erforderlichen Maßnahmen orientiert. Staatliches Handeln darf nicht von Ängsten oder Empfindungen geleitet sein, sondern muss der tatsächlichen Risikolage entsprechen. Für uns ist die Freiheit der Einzelnen Grund und Grenze unseres politischen Handelns. Insbesondere im Bereich der inneren Sicherheit muss die Politik am konkreten Freiheitsgewinn für den Einzelnen gemessen werden. Unser Sicherheitsbegriff orientiert sich daher an den Grundrechten. Freiheit und Sicherheit sind für uns kein Widerspruch, sie finden dort zusammen, wo es um den Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter geht. Die Durchsetzung dieser Rechtsgüter ist Kernaufgabe des Rechtsstaates. Wenn ein Staat an der universellen Durchsetzung des Rechtes spart, untergräbt er seine eigene Legitimation und unterhöhlt das Vertrauen in seine Funktionsfähigkeit. Das gilt sowohl für die Abwehrfunktion der Grundrechte gegenüber dem Staat, als auch für den Schutz dieser Rechtsgüter durch den Staat. Jedes Instrument der Inneren Sicherheit muss dementsprechend danach bewertet werden, ob es objektiv mehr Schutz für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter bietet, als es bedroht. Diese Abwägung ist entscheidend um sowohl mehr Freiheit, als auch mehr Sicherheit für den Einzelnen zu garantieren.
Eine liberale Sicherheitsarchitektur
Die innere Sicherheitsarchitektur besteht aus den Akteuren, die für die Sicherheit im Inland sorgen sollen. Die Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten trägt dazu bei, dass Deutschland ein vergleichsweise sicheres Land ist. Doch Vorkommnisse wie die massenhafte Spionage durch inländische wie ausländische Geheimdienste, die Taten der Terrororganisation NSU oder Aufklärungs- und Vollzugsdefizite bei teilweise schwersten Straftaten haben in der Vergangenheit gezeigt, dass die deutsche Sicherheitsarchitektur nicht immer in der Lage ist, den Schutz der Grundrechte zu gewährleisten. Deswegen setzen wir Junge Liberale uns für strukturelle Veränderungen bei Polizei und Nachrichtendiensten ein.
Die föderale Organisation der Polizei in Deutschland ist richtig, um Kriminalität vor Ort zu verhindern und zu bekämpfen sowie gleichzeitig eine Machtkonzentration bei einer Bundesbehörde zu vermeiden. Trotzdem sehen wir den Bedarf für stärkere Vernetzung und Koordinierung. Die bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschriften sollen insbesondere für den bundeslandübergreifenden Einsatz von Polizisten ausgebaut werden. Gerade die Landeskriminalämter (LKA) sollen stärker kooperieren, um effektiver und effizienter zu arbeiten. Es ist nicht sachdienlich, dass jedes LKA jede Spezialfähigkeit vorhält. Das Bundeskriminalamt (BKA) kann bei der Weiterentwicklung und Erforschung von Spezialfähigkeiten eine wichtige Koordinierungsfunktion wahrnehmen. Insbesondere bei größeren Anschaffungen der LKAs ist darauf zu achten, dass eine Kompatibilität mit der Ausstattung anderer LKAs gewährleistet ist, um gemeinsame Einsätze zu ermöglichen. Darüber hinaus muss die Terrorismusbekämpfung als eine Führungsaufgabe dem Bundeskriminalamt zugeordnet werden. Die zuständigen Abteilungen in den Landeskriminalämtern und den lokalen Polizeibehörden, die hier bislang wesentlich in der Verantwortung stehen, sollen dem BKA nachgeordnet werden. Das bereits existierende Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) trägt zur Vernetzung der verschiedenen Sicherheitsbehörden in effektiver Art und Weise bei. Eine Ausweitung der Aktivitäten auf die Eindämmung anderer möglicher Gefahrenlagen oder eine andersartige Ausdehnung der Befugnisse des GTAZ ist jedoch abzulehnen.
Die Polizei ist in erster Linie für die innere Sicherheit zuständig. Damit die Polizei ihre Aufgabe erfüllen kann, benötigen Polizisten sowohl eine hervorragende Ausbildung und genügend dienstfähige Kollegen, als auch eine moderne technische Ausstattung, die sich an den tatsächlichen Aufgaben in den einzelnen Bundesländern orientiert. Polizisten dürfen nicht auf den privaten Zukauf von Ausrüstung aufgrund von Mängeln angewiesen sein. Bei der Ausbildung muss sowohl die Effektivität der Polizeiarbeit, als auch der Grundrechtsschutz von Bürgern und Beamten im Mittelpunkt stehen. Zur Bemessung der benötigten Personalkapazitäten und technischen Ressourcen sind Schutzziele, wie sie im Bereich der Feuerwehren oder des Rettungsdienstes bereits üblich sind, zu definieren. Diese müssen auf u. a. an der Kriminalitäts- und Bedrohungslage der einzelnen Regionen, der Eintreffzeit der benötigten Einheiten und einem statistischen Erreichungsgrad basieren. In regelmäßigen Abständigen sind Risikoanalysen zu erstellen, durch (polizei-)externe Experten zu beurteilen und die Schutzziele anzupassen. Auch gut ausgebildete Polizeibeamte sind nicht immun gegen Fehlverhalten. Um die Unabhängigkeit und Unbefangenheit bei Ermittlungen gegen Polizeibeamte in Strafsachen sicherzustellen, sollen diese zukünftig zentral durch eine neu zu schaffende Abteilung „Interne Ermittlungen“ der Landeskriminalämter beziehungsweise des Bundeskriminalamtes erfolgen. An diese unabhängige Stelle sollen sich alle Bürger direkt und vertraulich wenden und eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen können. Zur besseren Nachvollziehbarkeit von Straftaten durch Polizeibeamte ist deren individuelle Kennzeichnung durch randomisierte Nummern notwendig, auch in geschlossenen Formationen. Einen freiwilligen Polizeidienst ohne ausreichende Qualifizierung und frei von jeglichen hoheitlichen Rechten lehnen die Jungen Liberalen entschieden ab.
Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten muss aufrechterhalten werden. Die Kompetenzverteilung der Nachrichtendienste zwischen dem Bundesnachrichtendienst (BND) für Auslandsaufgaben und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für Inlandsaufgaben ist richtig. Das Verfassungsschutzreformgesetz war ein wichtiger Anfang, um die Arbeit der Verfassungsschutzämter zu verbessern. Langfristig sollen im Rahmen einer Strukturreform aber die Landesämter für den Verfassungsschutz aufgelöst werden. Frei werdende Ressourcen und die bisherigen Aufgaben sind auf das reformierte Bundesamt für Verfassungsschutz mit Dienststellen in allen Bundesländern zu verlagern. Auch der Zoll darf nicht durch ständige Kompetenzerweiterungen zu einer gefährlichen Mischung aus Polizei und Geheimdienst werden: Es braucht an dieser Stelle eine klarere Aufgabenteilung und Befugnis Beschränkungen. Beide Nachrichtendienste müssen die Fähigkeiten Spionageabwehr und Gegenspionage entsprechend der technologischen Möglichkeiten fortlaugend ausbauen.
Die Spionageabwehr darf dabei nicht nur die Abwehr physischer oder ökonomischer Gefahren sondern muss auch die Gewährleistung der Grundrechte Privater im Blick haben. Um die Kontrolle der Nachrichtendienste zu verstärken muss die personelle und finanzielle Ausstattung der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) verbessert werden. Die Mitarbeiter der Kontrollgremien dürfen nicht ausschließlich aus ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern bestehen und sollten dem Grundsatz der Diversität gerecht werden. Zudem halten wir eine Informationspflicht des G10-Gremiums gegenüber dem PKG für notwendig, um den Parlamentariern ein Gesamtbild der nachrichtendienstlichen Arbeit zu ermöglichen. Im G10 Gremium selbst sollen nur noch kontradiktorische Entscheidungsverfahren möglich sein. Dabei muss jeweils ein Vertreter des Gremiums die Contra-Position übernehmen.
Wir fordern, die im Zuge des G10-Gesetzes vorgenommene Änderung des Artikels 10 GG rückgängig zu machen und dessen Urfassung wiederherzustellen: Ein Staat, der seinen Bürgern die rechtliche Kontrolle seiner Handlungen verwehrt und ihnen Freiheitseinschränkungen verschweigt, verstößt unserer Meinung nach gegen fundamentale Prinzipien des Rechtsstaates. Jeder EU-Bürger sollte so schnell wie möglich, aber nach spätestens 30 Jahren, ausnahmslos von gegen ihn gerichtete Überwachungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt werden und ihm der reguläre Rechtsweg offen stehen. Um Geheimdienste auch präventiv zu kontrollieren, soll die Stelle eines Geheimdienstbeauftragten des Deutschen Bundestages geschaffen werden, der über laufende Inlandstätigkeiten der Geheimdienste umfassend informiert wird. Die Kompetenzen des PKG sollen gestärkt werden. Das PKG soll vollumfänglich und auf eigene Anfrage über nachrichtendienstliche Ermittlungen oder Vorkommnisse informiert werden. Zudem hat er das Recht den Dienst frei von aktuellen Anlässen zu prüfen und fungiert als vertraulicher Ansprechpartner für alle Geheimdienstmitarbeiter um Missstände zu melden. Wir fordern die Einführung eines Whistleblower-Schutzgesetzes, welches im Fall der Aufdeckung von Grundgesetzverstößen den Tatbestand des Geheimnisverrat heilt.
Eine Sicherheitarchitektur, die dem konsequenten Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter dient, braucht ein zeitgemäßes Strafrecht. In einigen Bereichen sind die Sicherheitsbehörden auf Grund eines fehlenden strafrechtlichen Rahmens an der tatsächlichen Gewährleistung öffentlicher Sicherheit gehindert. Viele Regelungen sind zudem überholt und bedürfen einer Revision. Diese muss stets ausgewogen durchgeführt werden. Die Anpassung des Strafrechts darf nicht zu einer vorschnellen Überladung des Strafrechts mit tagespolitischen Aspekten führen. Vorhandene gesetzliche Regelungen müssen voll ausgeschöpft werden, bevor neue Regelungen geschaffen werden. Dabei ist zu prüfen, ob Sanktionselemente des Jugendstrafrechts nicht auch im Erwachsenenstrafrecht Anwendung finden sollten, um zusätzlich zu Geld- oder Freiheitsstrafe gezielter auf die Person des verurteilten Täters einwirken zu können. Zudem muss stetig überprüft werden, ob Strafnormen noch zum Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter beitragen.
Grundsätzlich treten wir dafür ein, dass nur Handlungen als Straftat bewertet werden, in die konkrete Täter und Opfer involviert sind. Opferlose Straftaten, die nur aus gesellschaftlichen oder politischen Gründen verfolgt werden, bedürfen einer besonders tragfähigen Begründung. Unter diesem Gesichtspunkt setzen wir uns für die Liberalisierung und Regulierung von Drogen ein, die in der Regel bei einem normalen Konsumverhalten zu keiner schwerwiegenden Abhängigkeit und zu nur geringen gesundheitlichen Schäden führen. Auch bei anderen heute illegalen Drogen muss ein Umdenken erfolgen. Zwar ist der Konsum harter Drogen ohne Zweifel gesundheitsschädlich und unvernünftig, geschieht jedoch häufig zumindest nicht dauerhaft aus rein freiem Entschluss. Süchten mit den Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten, ist aber keine zielführende Maßnahme, sondern kriminalisiert Menschen in schwierigen Lebenslagen noch zusätzlich. Darüber hinaus sehen wir kein Rechtsgut verletzt, sofern Menschen sich nur selbst schaden. Wir setzen uns daher, unter Beibehaltung der bislang anerkannten Mengen für den Eigenbedarf, für die Abschaffung der polizeilichen Anzeigepflicht in diesen Fällen ein. Zudem soll etwa der Straftatbestand des § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) gestrichen werden. Auch der Straftatbestand des Landesverrates (§ 94) soll abgeschafft werden. Seine Funktion wird zur Zeit nicht ausreichend durch den Straftatbestand des Geheimnisverrats (§353b) abgedeckt. Deshalb soll dieser um einen Paragraphen ergänzt werden, der bei besonders schweren Fällen Anwendung findet, wenn eine Gefährdung für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik entstanden ist.
Die Strafprozessordnung ist dahingehend zu ändern, dass rechtswidrig erlangte Beweise grundsätzlich nicht vor Gericht verwertet werden dürfen. Zudem sollen Staatsanwaltschaften einen Anfangsverdacht künftig nicht mehr auf legales Verhalten stützen dürfen, dass nach kriminalistischer Erfahrung auf strafbewehrtes Verhalten schließen lässt. Gleichzeitig müssen Ermittlungsverfahren auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden. Die Freiwilligkeit bei genetischen Rasterfahndungen muss gestärkt und die Durchsuchung in Körperöffnungen an strengere Voraussetzungen genknüpft werden. Observationen müssen bei Klein- und mittlerer Kriminalität auf 3 Monate begrenzt werden. Rechtsstaatswidrige Tatprovokationen durch den Staat oder ihm zurechenbare Personen sind als exzessive Maßnahmen abzulehnen und mit einem absoluten Verfahrenshindernis zu sanktionieren.
Die geltenden Richtervorbehalte bei eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen sind ausdrücklich zu befürworten. Um einer Aushöhlung des Rechtsstaatsprinzips vorzubeugen, ist weiterhin dafür zu sorgen, dass Richtern und besonderen Spruchkörpern zugewiesene Anordnungskompetenzen nicht durch Eilkompetenzen unterlaufen werden. Stattdessen müssen Richternotdienste rund um die Uhr verfügbar sein. Darüber hinaus sollen Polizeibeamte nicht durch eigene Erklärung befähigt sein, Maßnahmen anzuordnen, für die sonst staatsanwaltschaftliche Weisung nötig ist.
Im laufenden Ermittlungsverfahren soll Staatsanwaltschaften jegliche Öffentlichkeitsarbeit zur reinen Information der Bevölkerung untersagt werden, sofern nicht überragende öffentliche Interessen entgegenstehen. Informationen sollen weiterhin an die Presse gegeben werden dürfen, wenn die Mitarbeit der Bevölkerung zur Aufklärung des Sachverhalts oder eine öffentliche Warnung erforderlich ist. Werden trotz des Verbots Informationen über laufende Ermittlungsverfahren an die Öffentlichkeit gegeben, gefährdet dies massiv die Unschuldsvermutung und kann die soziale Existenz des Beschuldigten nachhaltig beeinträchtigen. Amtsträger, die sich dieses Verstoßes schuldig machen, sollen grundsätzlich aus dem Staatsdienst entlassen werden. Die Weisungsgebundenheit des Generalbundesanwalts und der Generalstaatsanwaltschaften muss eingeschränkt werden. Ein Eingriff in laufende Ermittlungen soll zukünftig nicht mehr zulässig und stattdessen nur noch für abstrakte und behördeninterne Entscheidungen zulässig sein.
Eine moderne Sicherheitsarchitektur braucht einen reformierten Strafvollzug. Dieser dient nicht allein dem Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten der Inhaftierten und der Verbüßung ihrer Schuld, sondern auch ihrer Resozialisierung. Für uns gilt der Grundsatz, dass Täter Haftanstalten gesellschaftsverträglicher verlassen sollen, als sie sie betreten haben. Deshalb setzen wir uns insbesondere für Straftäter mit überschaubarer Haftzeit und zeitnaher Entlassung für eine Resozialisierungspflicht in Vollzugsanstalten ein. Inhaftierte sollen einerseits Zeit für sich haben, um ihre Tat zu reflektieren, andererseits aber auch einer für sie und die Gesellschaft gewinnbringenden Beschäftigung nachgehen. Als Resozialisierungsmaßnahmen kommen beispielsweise das Erlernen einer Ausbildung, Erwerbstätigkeit, Verhaltens- und sonstige Psychotherapien, pädagogische Angebote, Drogenentzüge und Alphabetisierungskurse in Frage. Eine Teilnahme an einer der Maßnahmen soll grundsätzlich obligatorisch sein, sofern keine Sicherheitsaspekte dagegen sprechen. Bei Erreichung bestimmter Teilziele der Maßnahmen sollen den Inhaftierten Hafterleichterungen gewährt werden. Verwehrt ein Inhaftierter dagegen eine Teilnahme, soll dies für ihn mit Haftverschärfungen verbunden sein. Im Regelvollzug sollen geeignete Inhaftierte auf eigenen Wunsch in angepassten Zellen unter engmaschiger Betreuung dafür qualifizierten Personals kleine Gemeinschaften des Zusammenlebens bilden, in denen sie selbst Verantwortung für Teilbereiche des täglichen Lebens tragen lernen können.
Wir erkennen die Notwendigkeit an, die Instrumente besonderer Sicherungsmaßnahmen im Strafvollzug grundsätzlich fortzuführen. Insbesondere das Anstellen des Lichtes und die Ansprache des Inhaftierten bis zum Erwecken in kurzen Zeitabständen sowie das Belassen Inhaftierter ohne Kleidung sind aber nicht vereinbar mit den Grundsätzen unserer Verfassung und dem Folterverbot. Diese Praktiken müssen unverzüglich eingestellt und als Folter unter Strafe gestellt werden.
Um einen Effektivitätsverlust der Sicherheitsarchitektur und ihrer gesetzlichen Basis zu verhindern, fordern die Jungen Liberalen die regelmäßige Evaluation der Sicherheitsgesetzte durch eine Kommission bestehend aus Vertretern der Regierung, dem Parlament sowie externen Sachverständigen aus Praxis und Wissenschaft im Hinblick auf die Effektivität und den Schutz von Bürgerrechten. Alle Gesetze im Bereich zur Einführung von Sicherheitsmaßnahmen sollen dafür mit einer Auslaufklausel („sunset clause“) von fünf Jahren versehen werden.
Jugendkriminalität
Für die Jungen Liberalen hat die Frage nach dem Umgang mit Jugendkriminalität eine besondere Priorität. Eine höhere Kriminalitätsrate unter Jugendlichen und Heranwachsenden gegenüber der Gruppe der Erwachsenen ist dabei kein spezifisches Phänomen einer modernen Gesellschaft, sondern war über Generationen und Kulturen hinweg stets auch Ausfluss jugendlicher Emanzipation und des Normenerlernens in der Pubertät. Jugenddelinquenz ist zudem überwiegend bagatell- und episodenhaft. Die in den vergangenen Jahren immer wieder aufkeimende Debatte über eine vermeintliche neue Qualität der Jugendkriminalität ignorierte teilweise empirische Befunde, nach denen die Jugendkriminalität bei steigender Anzeigebereitschaft insgesamt rückläufig ist. An einer entsprechenden Panikmache und Verurteilung ganzer Generationen werden sich die Jungen Liberalen daher nicht beteiligen. Auch eine Heraufsetzung des Höchststrafmaßes für die Jugendstrafe lehnen wir ab. Gleichwohl muss es die Gesellschaft besorgen, wenn Einzelne über Jahre hinweg immer wieder straffällig werden, insbesondere wenn sich schwerere Gewaltdelikte häufen. Die Rechtsordnung hat die Aufgabe, die Belange potentieller Opfer zu schützen. Daher setzen wir uns für eine Anwendung des Adhäsionsverfahrens im Jugendstrafrecht ein.
Gleichzeitig wacht die staatliche Gemeinschaft auch über die Erziehung und Entwicklung der Täter. Bei Intensivtätern lässt sich häufig eine Kumulation mehrerer Belastungsfaktoren wie einem schwachen sozialen Status, wiederholtem Schulschwänzen, Probleme mit Drogen, erzieherischem Versagen und Gewalterfahrungen in der Familie, einem delinquentem sozialen Umfeld oder mangelnder Integration in eine positive Wertegemeinschaft insgesamt feststellen. Perspektivlosigkeit ist eine zentrale Ursache von Kriminalität, gleichzeitig wird sie durch Stigmatisierung der Straffälligen verstärkt. Ziel umfassender Prävention ist es, Chancen für diese Jugendlichen zu schaffen und somit den Teufelskreis zu durchbrechen. Die Jungen Liberalen erkennen an, dass die Anforderungen an Präventionsarbeit vielgestaltig und kontextabhängig sind. Die Umsetzung passgenauer Präventionsprojekte ist daher zuvorderst Aufgabe von Kommunen und Ländern. Bei Mehrfachtätern ist es notwendig, Schulen, Eltern, Jugendämter und Polizei besser miteinander zu vernetzen, um Informationen zusammenzutragen und damit gezielter reagieren zu können. Soweit vorhanden können Schulsozialpädagogen eine Koordinierungsfunktion übernehmen. Die Schulpflicht muss konsequent durchgesetzt werden.
Die Flexibilität des Jugendstrafrechtes ermöglicht die Verhängung individuell geeigneter Erziehungsmaßnahmen. Wir begrüßen die Möglichkeit der Verhängung des sog. Warnschussarrests. Durch ihn sollen geeignete jugendliche Straftäter noch vor der ersten Haftstrafe die abschreckende Wirkung eines Gefängnisaufenthaltes erleben. Bei Gewaltstraftaten fordern wir zusätzlich zur eigentlichen Sanktion nach der dritten Verurteilung dessen verpflichtende Anordnung. Wissenschaftliche Untersuchungen zu den Effekten auf die Rückfallquote können dazu beitragen, das Instrument noch effektiver zu gestalten.
Grundsätzlich fordern wir eine Verstärkung der Aufwendungen für quantitative und qualitative Forschung im Bereich der Jugendkriminalität. So kann etwa durch Dunkelfeldforschung ein genaueres Bild der Sachlage gezeichnet werden. Vor allem aber muss die Effektivität von Maßnahmen, die etwa auf Grundlage des Jugendgerichtsgesetzes als Reaktion auf Straftaten erlassen werden, stärker wissenschaftlich untersucht werden. Notwendig dagegen ist, die Dauer von Strafverfahren zu verkürzen, um pädagogische Effekte erzielen zu können. Die Erfahrungswerte aus dem so genannten „Neuköllner Modell“ können herangezogen werden, um die Strukturen des Justizwesens lokal anzupassen. Einhergehend mit einer Modernisierung des Justizvollzuges fordern wir, dass neben einer angemessenen Bestrafung vermehrt auf Therapieangebote gesetzt wird und stärker die Resozialisierung in den Fokus genommen wird. Die personellen Kapazitäten im Justizwesen sind darüberhinaus zwingend aufzustocken. Zudem soll in Fällen einfachster Jugendkriminalität das Strafbefehlverfahren ermöglicht werden. Strafbefehl-ähnliche Sanktionierung durch die Polizei lehnen wir ab.
Die Forderungen nach einer Senkung des Jugendstrafalters lehnen die Jungen Liberalen ab. Präventive Maßnahmen an der Schnittstelle von Sozialhilfe und Jugendgerichtsbarkeit können stattdessen ergriffen werden, ohne Kinder bereits als Gesetzesbrecher zu etikettieren.
Allgemein sollen jugendliche Straftäter, die ihre Strafe verbüßt haben, die selben Aufstiegschancen haben, wie jeder andere. Die Veröffentlichung von Adressen ehemaliger Straftäter durch Private stellen keinen geeigneten Schutz der Bevölkerung dar, sondern beschneiden die persönlichen Freiheitsrechte einzelner und sind daher zu verhindern.
Kriminalitätsbekämpfung 2.0
Die Digitalisierung macht auch vor der Inneren Sicherheit nicht halt. Für die Polizei wie für Kriminelle ergeben sich neue Handlungsfelder, bei denen der Staat jeweils im Hinblick auf den Schutz der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter überlegt agieren muss. Zahlreiche Instrumente die in den vergangenen Jahren eingeführt wurden, werden diesem Anspruch nicht gerecht. Moderne Überwachungsmaßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung, die Speicherung von Fluggast- und Bahngastdaten, den Autonummern-Scan durch Mautkontrollstellen oder die Online-Durchsuchung müssen abgeschafft oder sollen erst gar nicht eingeführt werden. Die Bestandsdatenauskunft und die Funkzellenabfrage müssen deutlich eingeschränkt werden. Sensible Daten wie IP-Adressen sollen nur noch mit Richtervorbehalt abgefragt werden können. Netzsperren sind eine andere Form von Zensur und in der Praxis völlig wirkungslos Daher sind sie ungeeignet dem Anliegen von Freiheit und Sicherheit zu dienen.
Bei der Spionage- und Gefahrenabwehr durch Nachrichtendienste oder Polizei soll ein besonderer Fokus auf der Sicherheit von Informationssystemen und kritischer Infrastruktur liegen. Angriff ist hier nicht die beste Verteidigung. Sichere IT-Systeme schützen Grundrechte unter anderem vor Abhörmaßnahmen oder Wirtschaftsspionage. Daher lehnen wir den Einbau von Hintertüren in Software, Hardware und Verschlüsselung konsequent ab. Der Gebrauch sicherer Hardware und Software soll gefördert werden. Das nationale Cyberabwehrzentrum (CAZ) soll in das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) integriert werden. Dieses muss zu einer zentralen Institution ausgebaut werden, die kritische Infrastruktur überwacht und eventuelle Angriffe bewertet. Dafür darf das BSI dem Bundesministerium des Inneren nicht nachgeordnet werden.
Für die Polizei bieten moderne Techniken neue Wege um dem Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter zu dienen. Die Bekämpfung von Kriminalität im Netz (Cyberkriminalität) muss fester Bestandteil einer modernen Ausbildung von Polizisten sein. Hierfür sollen die Sicherheitsbehörden auch für Experten (z. B. Informatiker) zugänglich und attraktiv sein, die keine reguläre Polizeiausbildung durchlaufen haben. Regelmäßige Fortbildung von Polizisten trägt dazu bei, dass die Polizei nicht durch vermeidbare Wissenslücken an der Durchsetzung von geltendem Recht gehindert wird. Die Nutzung von Sozialen Netzwerken zur Aufklärung von Straftaten, Bereitstellung von Informationen von Bürgern oder für die Interaktion begrüßen die Jungen Liberalen. Dabei ist immer auf die Einhaltung des Datenschutzes und die Wahrung der Unschuldsvermutung zu achten. Die Methode des Predictive Policing soll nur auf Basis von aggregierten Daten angewendet werden, um präventiv Straftaten zu verhindern, nicht aber bezogen auf den Täter oder das Opfer. Dabei können etwa Risikogebiete oder -zeiten identifiziert werden, nicht aber Ermittlungen gegen Einzelpersonen eingeleitet werden. Den Einsatz von programmierten Lockvögeln (Projekt „Sweetie“/Agent Provocateur) durch Ermittlungsbehörden, um Personen zu Straftaten zu verleiten, lehnen wir entschieden ab. Die Polizei muss sich auf tatsächlich erfolgte Straftaten oder die Verhinderung selbiger konzentrieren.
Europäische Dimension Innerer Sicherheit
Kriminalität war niemals nur lokal oder national begrenzt, doch Europäische Integration und Globalisierung haben neben überwiegend positiven Ergebnissen auch kriminelles, grenzüberschreitendes Verhalten einfacher gemacht. Um organisierter Kriminalität, Terrorismus oder strafbarem Handeln in grenznahen Regionen zu begegnen, braucht es Kooperation auf europäischer und internationaler Ebene. Die im Bereich der innereuropäischen Sicherheit tätigen Agenturen der EU (EUROJUST, EUROPOL, CEPOL, FRONTEX) leisten einen wichtigen Beitrag zum Schutz von grundrechtlich geschützten Rechtsgütern. Künftig sollen alle EU Sicherheitsagenturen dem Europäischen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig sein und regelmäßig Bericht erstatten. Alle EU Sicherheitsagenturen sollen zudem eine Position schaffen, die die Einhaltung der europäischen Grundrechte kontrolliert und sowohl durch das Europäische Parlament als auch von Mitarbeitern der jeweiligen Agentur dafür kontaktiert werden kann. Insbesondere die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) muss nachweisen, dass bei strafbarem Verhalten im Rahmen seiner Missionen die entsprechenden Personen der jeweils zuständigen Strafverfolgung zugeführt worden sind. Das Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC) soll künftig auch formal Informationen an die anderen EU Sicherheitsagenturen geben dürfen, sofern sie der Erfüllung der Aufgaben im Bereich der innereuropäischen Sicherheit dienen und darüber dem zuständigen Gremium des Europäischen Parlaments Bericht erstatten.
Die Vernetzung europäischer Nachrichtendienste muss nachvollziehbarer erfolgen. Auf europäischer Ebene soll die Koordination von Geheimdiensten künftig in einer eigenen Agentur mit Kontrolle durch das Europäische Parlament stattfinden. Darüber hinaus streben wir eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedsstaaten zur Achtung der Grundrechtecharta für die Arbeit aller Nachrichtendienste in der Europäischen Union.