27.06.2023

IN ALLER FREUNDSCHAFT: GESUNDHEITSSYSTEM ENDLICH DIGITALISIEREN

Die Corona-Pandemie hat in den letzten drei Jahren gezeigt, dass die Digitalisierung unseres Gesundheitssystems noch in den Kinderschuhen steckt. Während in anderen europäischen Ländern Videosprechstunden von Ärzten und Patienten sowie die Ausgabe von digitalen Rezepten bereits zum Alltag dazugehören, ist Telemedizin in Deutschland ein stiefmütterlich behandeltes Thema. Dieser Eindruck lässt sich auch durch den aktuellen Ländervergleich verifizieren. Deutschland belegt von 17 europäischen Ländern den 16. Platz beim Digital-Health-Index. Ein klares Zeichen für die Notwendigkeit, unser Gesundheitssystem von Grund auf zu digitalisieren.

Dabei ist Telemedizin der erste Schritt in Richtung eines vollständig digitalisierten Gesundheitssystems. Telemedizin meint ärztliche Versorgungskonzepte, bei denen Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt werden. Telemedizinische Methoden sollen dazu beitragen, dass medizinische Leistungen über eine räumliche Entfernung hinweg erbracht werden können. Das kann sowohl die Bereiche der Diagnostik als auch der Therapie und Rehabilitation umfassen; Telemedizin ist in allen medizinischen Disziplinen denkbar. Das reicht von der Online-Terminbuchung über die digitale Sprechstunde bis hin zur Auswertung von hochauflösenden Video- und Audiodateien von Unfallopfern, um die richtigen Maßnahmen vor Ort treffen zu können. Uns Jungen Liberalen ist es wichtig zu betonen, dass es nicht das Ziel ist und sein kann, den persönlichen Arztbesuch vollständig zu ersetzen. Vielmehr geht es darum, Patienten einen mit langen Anfahrtswegen und Wartezeiten verbundenen Arztbesuch, der aufgrund der einfach gelagerten medizinischen Situation nicht erforderlich ist, zu ersparen. Es liegt weiterhin im Ermessen der Fachkräfte, ob eine persönliche Konsultation notwendig ist oder nicht.

Mit Inkrafttreten des E-Health-Gesetzes in 2016 hat der Begriff Telemedizin in Deutschland an Relevanz gewonnen. Dennoch existierte weiterhin ein Fernbehandlungsverbot, das die Bundesregierung erst 2018 lockerte. 2021 versuchte die CDU einen ersten Aufschlag, um Telemedizin in Deutschland salonfähig zu machen. Ein Versuch, der ein solcher blieb.

Seit Jahren kämpft Deutschland damit, dass in ländlichen Regionen eine medizinische Grundversorgung nicht mehr gewährleistet werden kann. Diese Problematik wird sich auch in Großstädten künftig aufgrund des demographischen Wandels in Kombination mit dem Fachkräftemangel verstärken. Die deutsche Bevölkerung wird immer älter. Durch eine immer älter werdende Bevölkerung steigt auch der Bedarf an medizinischer Versorgung. Da mit einem höheren Alter auch das Risiko an Immobilität steigt, könnte vor allem diese Patientengruppe von einer digitalen Sprechstunde profitieren.

Durch den Einsatz von telemedizinischen Maßnahmen, insbesondere durch das Angebot digitaler Sprechstunden, kann auch in bisher medizinisch unterversorgten Regionen wieder eine medizinische Grundversorgung sichergestellt und gewährleistet werden. In Deutschland muss auf absehbare Zeit eine sektoren- und fachrichtungsübergreifende, wohnortunabhängige und zeitnahe medizinische Versorgung zum Regelfall werden.

Durch Telemedizin kann nicht nur der Kontakt zwischen Arzt und Patient digitalisiert werden, sondern auch der Kontakt unter anderen Akteuren im Gesundheitswesen. So soll es für Ärzte ermöglicht bzw. vereinfacht werden, sich digital über die Befunde eines Patienten auszutauschen und so im Dialog eine Diagnose zu stellen oder bestmöglichen Therapieansätze zu entwickeln. Auch für Ärzte hat die flächendeckende Einführung von Telemedizin große Vorteile. So haben die Praxen durch Online-Sprechstunden mehr Zeit für die Patienten vor Ort. Außerdem haben die Praxen bei einem ausgewogenen Verhältnis von Präsenz- und Onlinesprechstunden einen geringeren Ressourcenaufwand.

Das beste Beispiel, wie effizient ein vollständig digitalisiertes Gesundheitssystem funktionieren kann, ist Estland. Seit gut 10 Jahren sind E-Rezept und elektronische Patientenakte gesetzlich verpflichtend. Videokonsultationen und Ferndiagnosen gehören zum medizinischen Alltag. Über das nationale Gesundheitsinformationsportal kann seit 2009 jeder Bürger seine persönlichen Gesundheitsdaten einsehen, sich fachgerecht über Krankheiten informieren und Termine bei niedergelassenen Ärzten buchen. Und das alles vollständig datensicher und mit einer Garantie, dass die Datenhoheit weiterhin der Bürger hat.

Die nationale flächendeckende Einführung von telemedizinischen Maßnahmen scheitert aktuell vorrangig daran, dass es bei vielen Telemedizin-Projekten nicht gelingt, sie von der Projekt- auf die regionale und nationale Ebene zu bringen. Damit können sie nicht Teil der Regelversorgung werden. Klassische Hürden sind nicht zuletzt Fragen der Finanzierung, aber auch mangelnde Kooperation verschiedener Akteure. Datenschutzrechtliche Vorgaben stehen weiterhin in einem Spannungsfeld mit der ärztlichen Schweigepflicht. Damit können nicht genug benötigte Gesundheitsdaten ausgetauscht werden, um telemedizinische Projekte zu realisieren. Diese Probleme konnte auch das Digitale–Versorgung–und–Pflege–Modernisierungs–Gesetz (DVPMG) nicht lösen. Von der Ärzteschaft, den Patienten sowie anderen medizinischen Akteuren wurde das Gesetz als Einzelmaßnahme abgetan. Der große Wurf in der Digitalisierung des Gesundheitssystems lässt also weiterhin auf sich warten.

Wir Jungen Liberalen fordern daher:

1.     Die elektronische Patientenakte soll für jeden Krankenversicherten verpflichtend eingeführt werden. Die elektronische Patientenakte ist eine Grundvoraussetzung für eine Vernetzung aller medizinischen Akteure, wie Krankenkassen, Patienten, Krankenhäuser, Hausarztpraxen und Fachärzte, um so eine bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Als bestmögliche Lösung erachten wir ein kombiniertes System aus ePA und persönlichen Gesundheitsakten. Hierbei haben weiterhin nur Leistungserbringer die Möglichkeit, Daten in die ePA einzupflegen. Der Charakter eines Beweis- und Dokumentationsmittels der Patientenakte bleibt gewahrt. Gleichzeitig soll nicht nur der direkte Zugang zur ePA für Patienten möglich sein (z.B. über eine Website), sondern auch der freiwillige Zugriff über die peGA-Systeme privater Anbieter und Krankenkassen. Auf Anweisung des behandelnden Arztes soll es zudem möglich sein, dass Patienten direkt Daten in die ePA einpflegen können. So soll es ermöglicht werden, zukünftig Schmerztagebücher, Blutzuckerprotokolle und andere Arten der Patienten-Arzt-Kooperation papierlos abzuwickeln.

2.     Die Einführung einer digitalen Krankenkassenkarte.

3.    Ein nationales Gesundheitsinformationsaustauschnetzwerk nach Vorbild Estlands. In dieses Netzwerk soll die vollständige Krankengeschichte jedes Krankenversicherten von der Geburt bis zum Tod eingepflegt werden. 100 Prozent aller Ärzte, Fachärzte, Krankenhäuser und Apotheken sollen an dieses Netzwerk angeschlossen werden. Der jeweilige Krankenversicherte soll weiterhin Eigentümer der Gesundheitsdaten bleiben und die volle Kontrolle über die Gesundheitsdaten behalten. Diese geschieht über eine Opt-out-Option. Der Krankenversicherte kann alle oder einzelne elektronische Patientenakten in dem Gesundheitsinformationsaustauschnetzwerk unzugänglich machen und entscheidet, welcher Arzt sie einsehen darf und welcher nicht. Die Bestimmung über jegliche Datenweitergaben liegt beim Patienten selbst.

4.     Eine völlige Gleichstellung von Videosprechstunden und dem Arztbesuch vor Ort. Wir wollen die Deckelung der vertragsärztlichen Videosprechstundenleistungen auf 30 Prozent abschaffen. Diese Deckelung darf bis dato nur bei epidemischen Lagen angehoben bzw. aufgehoben werden. Eine solche Deckelung ist weder geboten noch notwendig.

5.     Die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach ausschließlicher Fernbehandlung soll nicht wie bisher nur für drei Tage, sondern für bis zu einer Woche ausgestellt werden können.

6.     Die Telemedizin soll in den Lehrplan des Medizinstudiums sowie in die Ausbildung weitere relevante Gesundheitsberufe integriert werden.

7. Kompetenzzentren für Telemedizin an (Uni-)Kliniken, um Forschung und Lehre zusammenzubringen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Forschung und Lehre kontinuierlich in Austausch stehen und Deutschland eine Vorreiterrolle in Sachen Telemedizin einnehmen kann.

8. die Einführung einer Weiterbildung für telemedizin-beanspruchende Ärzte. Diese soll als „Lizenz“ für die Vergütung telemedizinischer Behandlungen dienen. Ferner sind jegliche telemedizinische Anwendungen als konkrete Leistung und differenziert nach dem entsprechenden Arbeitsaufwand für die vertragsärztliche Vergütung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und für die privatärztliche Vergütung in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abzubilden.

9. in Ergänzung der Aufklärungspflicht Initiativen seitens der Ärzte, über ihre telemedizinischen Dienste schriftlich oder online zu informieren und insbesondere die Grenzen ihrer Dienste zu deklarieren.

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