Präambel
Wir Junge Liberale erachten das Recht auf und den freien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen als einen der wichtigsten gesellschaftlichen Fortschritte der letzten Jahrzehnte. Die Entscheidung, eine Schwangerschaft vollständig auszutragen oder sie abzubrechen ist eine grundsätzliche Frage des Selbstbestimmungsrechts von Frauen. Auch im 21. Jahrhundert erleben wir in westlichen Staaten Entwicklungen, die den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen massiv erschweren – so beispielsweise in Teilen der USA oder mit Polen gar in einem EU-Mitgliedstaat. Für uns ist klar, dass es gilt, in Deutschland ähnliche Entwicklungen mit aller Kraft zu unterbinden und gleichzeitig den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen zu verbessern. Es stellt sich unserer Auffassung nach nicht die Frage, ob Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ermöglicht wird oder nicht – denn auch ein Verbot von Abtreibungen führt nicht dazu, dass diese unterbleiben, sondern ausschließlich dazu, dass diese unter katastrophalen Bedingungen und nicht nach den Regeln ärztlicher Kunst durchgeführt werden.
In Deutschland geht die Zahl der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche als Leistung anbieten, seit Jahren kontinuierlich zurück. Diese Entwicklung ist zum Teil so drastisch, dass Frauen, die einen Abbruch wünschen, enorm weite Fahrtstrecken auf sich nehmen müssen, um diesen zu erhalten. Weiterhin ist die Auswahl an verfügbaren Methoden hierdurch erheblich eingeschränkt. Wir Junge Liberale erachten diesen Zustand für nicht hinnehmbar.
Wir erkennen die Schwierigkeit der Abwägung zwischen dem Recht auf Leben, das nach ständiger Rechtsprechung auch auf das ungeborene Leben Anwendung findet, einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau andererseits. Wir sind aber der Auffassung, dass in der derzeitigen Rechtslage ein Übergewicht zu Lasten eben dieses Selbstbestimmungsrechts gegeben ist und sprechen uns daher für Reformen nach den folgenden Leitlinien aus.
Schwangerschaftsabbrüche als Teil der ärztlichen Ausbildung
Wir halten es für erforderlich, angehende Ärzte bereits in der Ausbildung mit dem Thema in Kontakt zu bringen. Dazu sollen grundsätzliche Methoden und die Rahmenaspekte von Schwangerschaftsabbrüchen zukünftig als Pflichtinhalt in die Curricula des Studiums der Humanmedizin an allen deutschen Universitäten aufgenommen werden. Hierbei lehnen wir Ausnahmen für Universitäten in nichtstaatliche Trägerschaft ausdrücklich ab.
Eine tiefergehende Beschäftigung mit der Thematik ist weiterhin in der Ausbildung von Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erforderlich. Hierzu sollen alle umgebenden Aspekte (medizinisch, rechtlich, soziokulturell, anderweitig gesellschaftlich) eingehend thematisiert werden und die Kompetenz zur praktischen Durchführung vermittelt werden.
Wir erachten hierbei auch für angemessen, zur Erlangung dieser ärztlichen Zusatzqualifikation für Schwangerschaftsabbrüche praktische Erfahrung im Bereich von Schwangerschaftsabbrüchen vorauszusetzen, die beispielsweise durch Arbeitserfahrung in derartigen Einrichtungen erlangt werden kann.
Initiativen an deutschen Universitäten, welche versuchen, Studierenden der Humanmedizin die Thematik näher zu bringen und im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten auch praxisnahe Übungen anzubieten, begrüßen wir ausdrücklich. Wir sprechen uns dafür aus, derartige Projekte zu fördern und fordern die medizinischen Fakultäten auf, die Zusammenarbeit mit ihnen zu intensivieren, um ein möglichst breites Angebot der Beschäftigung mit Schwangerschaftsabbrüchen zu schaffen.
Versorgungslage
Der Versorgungsauftrag hinsichtlich Schwangerschaftsabbrüchen fällt derzeit nach Maßgabe des Schwangerschaftskonfliktgesetzes den Ländern zu, wird jedoch nicht tiefergehend konkretisiert. Wir fordern deshalb, dass die Bundesärztekammer einen Versorgungsschlüssel als Untergrenze erarbeiten soll, nach dem ein den Umständen angemessenes Angebot an Schwangerschaftsabbrüchen definiert wird. Den Landesärztekammern soll Spielraum gegeben werden, diesen Versorgungsschlüssel regionalspezifisch anzupassen und zu konkretisieren. Die Bundesländer sollen auch zukünftig für die tatsächliche Umsetzung Sorge tragen.
Wir erachten es weiterhin für erforderlich, im Falle einer deutlichen Unterschreitung dieses Versorgungsschlüssels konkrete Maßnahme zu ergreifen, um die praktische Verfügbarkeit zu sichern.
Hierfür sollen medizinische Einrichtungen in öffentlicher Trägerschhaft auf einen höheren Anteil an beschäftigten Ärztinnen und Ärzten hinwirken, die sich bereit erklären, Abrüche durchzuführen. Die Nichtverpflichtung von Ärztinnen und Ärzten, gegen ihre Überzeugung Abbrüche durchzuführen, bleibt unberührt.
Um eine dauerhafte Entspannung der Lage zu erreichen, sehen wir die Länder in der Pflicht, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um insbesondere in unterversorgten Gebieten die Ansiedlung von Ärzten mit entsprechendem Angebot zu fördern. So kann beispielsweise eine Förderung der Ausbildung von Medizinstudierenden, die sich bereiterklären, sich zum Facharzt weiterzubilden und Abbrüche in einer unterversorgten Region für einen festgelegten Zeitraum anzubieten, angedacht werden. Sonderkündigungsrechte von Krankenhäusern in kirchlicher Trägerschaft gegenüber konfessionellem ärztlichen Personal, welches sich bereit erklärt, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, sind einzuschränken.
Um Hürden zur Inanspruchnahme konsequent abzubauen, fordern wir weiterhin, Schwangerschaftsabbrüche in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen. Von der Konstenfreiheit sollen auch schwangere Personen erfasst sein, die noch keinen Zugang zu der gesetzlichen Krankenversicherung erlangen konnten, wie in besonderen Konstellationen etwa Geflüchtete. Leistungen, die anstelle eines Schwangerschaftsabbruchs (Adoption, vertrauliche Geburt etc.) in Betracht kommen, wollen wir Schwangeren weiterhin ermöglichen. Gerade eine zeitige, umfassende Aufklärung, u.a. im Rahmen des Schulunterrichts kann dazu beitragen, dass diese Maßnahmen bereits bekannt sind und mit höherer Wahrscheinlichkeit in Anspruch genommen werden.
Abtreibungen als Materie des Strafrechts
Schwangerschaftsabbrüche sind nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich rechtswidrig, wobei in eng definierten Ausnahmefällen Straffreiheit gewährt oder eine Rechtfertigung der Beteiligten angenommen wird. Wir Junge Liberale erachten diese Detailbetrachtung nicht für Haarspalterei, sondern im Gegenteil für eine essenzielle Frage der rechtlichen Behandlung von Abtreibungen. Wir fordern deshalb eine Umkehr dieses Prinzips, sodass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich legal sind und ausschließlich die Konstellationen, die im Endeffekt tatsächlich zu einer Bestrafung führen können, vom Tatbestand umfasst sind.
Die andauernde Debatte um das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 219a StGB hat nicht zu einer sinnvollen Veränderung der Rechtslage geführt. Noch immer werden Ärzte, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren, völlig unnötig kriminalisiert. Wir fordern deshalb die Streichung des § 219a StGB.
Voraussetzungen für Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen
Wir möchten an dem derzeitigen System von zweierlei Möglichkeiten zur Begründung eines Abbruchs festhalten.
Die derzeitige Regelung zur Möglichkeit des Abbruchs einer Schwangerschaft bei Vorliegen einer medizinischen Indikation soll in ihrer Form beibehalten werden, soll allerdings um die kriminologische Indikation, welche bisher separat geregelt wird, erweitert werden.
Weiterhin möchten wir an der Fristenregelung, nach der Schwangerschaften ohne Vorliegen einer Indikation auf Wunsch der Schwangeren hin abgebrochen werden können, festhalten. Die derzeitige Frist von 12 Wochen seit Empfängnis halten wir dabei insbesondere angesichts der Tragweite der zu treffenden Entscheidung und der angespannten Versorgungslage für unzureichend und fordern eine Ausweitung auf 16 Wochen seit Empfängnis.
Das Erfordernis des Besuchs einer Schwangerschaftskonfliktberatung soll grundsätzlich entfallen. Ärzte können eine freiwillige Wartezeit von 72 Stunden gewähren, falls dies von der schwangeren Person gewünscht ist. Zudem sollen Ärzte angehalten werden, in Fällen, in denen der Eindruck einer möglichen seelischen Ausnahmesituation durch den Abbruch entsteht, der Schwangeren eine psychologische Nachsorge nahezulegen.
Beratung
Damit eine umfassende und zeitnahe Beratung in Konfliktsituationen gewährleistet werden kann, ist es notwendig, dass es ein ausreichendes Angebot an Beratungsstellen gibt. Wir fordern daher, dass die Beratungsstellen gerade auf dem Land weiter ausgebaut werden, mit der Zielmarke, dass keine Schwangere mehr als 30km bis zur nächsten Beratungsstelle zurücklegen muss. Die Richtlinien zu Beratungsgesprächen bei Schwangerschaftsabbrüchen sollen zudem grundlegend überarbeitet werden, sodass die Beratung nicht gezielt auf den Erhalt des ungeborenen Lebens oder die Ausräumung von Zweifeln am Abbruch ausgerichtet ist, sondern neutral auf die jeweilige Situation eingeht und Lösungen aufzeigt. Eine Förderung von nichtstaatlichen Beratungsstellen soll an diese Neutralität geknüpft sein. Um dies festzustellen, sollen die Beratungsstellen regelmäßig auf ihre Offenheit und Qualität evaluiert werden. Die zum Teil bereits stattfindenden Hinweise auf Beratungsangebote – nicht nur zur Konfliktberatung – bei Frauenärzten heißen wir gut und wollen diese wo nötig weiter ausbauen.
Minderjährige Schwangere
Wir setzen uns für eine vollständige Entscheidungsfreiheit mit Vollendung des 16. Lebensjahres ein. Bei jüngeren Schwangeren über 14 Jahren soll die geistige Reife nach ärztlichem Ermessen unwiderleglich festgestellt werden. Bei Schwangeren vor Vollendung des 14. Lebensjahres sind die Erziehungsberechtigten über die Situation zu benachrichtigen. Stehen der Wunsch der Schwangeren und der Wunsch der Eltern einander in solch einem Fall gegenüber, soll es für die Schwangere durch Anrufung des Familiengerichts im Eilverfahren möglich sein, ihre eigene Reife für diese Entscheidung feststellen zu lassen, andernfalls entscheiden die Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge. Die Vermittlung von Mediationsangeboten, beispielsweise durch Sozialarbeiter, soll in solchen Fällen angeboten werden.
Prävention von Schwangerschaftskonflikten
Die beste ungewollte Schwangerschaft ist die, die gar nicht erst entsteht – umso wichtiger ist eine intensive Sexualaufklärung. Wir setzen uns dafür ein, dass der Aufklärungsunterricht über die gesamte Schulzeit hinweg in jeweils altersgerechter Form stattfindet. In diesem Rahmen soll bei der Behandlung von Schwangerschaft auch über Schwangerschaftsabbrüche durch externes Fachpersonal aufgeklärt werden. Auch auf Beratungsangebote und Alternativen zu einem Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft soll für den Ernstfall hingewiesen werden, ebenso soll der Abbau von Stigmata und Hemmschwellen gegenüber der Thematik und der Inanspruchnahme von Hilfsangeboten ein Ziel des Aufklärungsunterrichts sein.
Interessenskollisionen
Nicht selten finden Demonstration und Darbietungen, die sich gezielt gegen Schwangerschaftsabbrüche richten, in unmittelbarer Nähe zu entsprechenden Einrichtungen statt; teilweise werden Betroffene und Personal dabei in verschiedener Form belästigt oder bedrängt.
Hier kommt es zu einer Kollision von widerstreitenden Interessen, welcher nur nach sorgfältiger Abwägung auflösbar ist. Wir Junge Liberale sind aber davon überzeugt, dass derartige Aufeinandertreffen die Situation für Betroffene unnötig erschweren mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Betriebs der Einrichtung einhergehen. Wir fordern deshalb, Versammlungen, die sich speziell gegen Abtreibungen richten, im Umfeld von Einrichtungen, in denen sie durchgeführt werden, während deren Öffnungszeiten nur unter angemessenen Auflagen (bspw. angemessene Abstände zu den betroffenen Einrichtungen) zuzulassen. Deren Einhaltung ist selbstverständlich zu kontrollieren und sicherzustellen. Hierzu sollen die Versammlungsgesetze des Bundes und der Länder, sofern im Einzelfall erforderlich, um entsprechende Befugnisse für die zuständigen örtlichen Behörden ergänzt werden. Ein pauschales Verbot von derartigen Versammlungen oder Aktionen lehnen wir jedoch ab – Leitlinie soll der Schutz der Betroffenen vor unangemessener Belästigung sein. Ist diese ausgeschlossen, darf der uneingeschränkten Ausübung von Grundrechten im Rahmen solcher Veranstaltungen nichts im Weg stehen.
Recht auf Schwangerschaftsabbruch global schützen
Wir wollen, das Recht auf und den freien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in ganz Europa, aber auch weltweit schützen. Deshalb setzen wir uns für die Verabschiedung eines Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie zur UN-Frauenrechtskonvention ein, dass den Vertragsstaaten verbindliche Mindeststandards vorschreibt.