17.03.2012

Für eine liberale Demokratie

Liberalismus entstand als Bewegung von Menschen, die nicht wollten, dass politische Entscheidungen über sie und ohne sie getroffen werden. Der Kampf für Demokratie und Beteiligung nimmt auf der Agenda der Liberalen eine besondere Stellung ein. Wir wollen an dieses Erbe anknüpfen und auf die Demokratie-Herausforderungen von heute liberale Antworten finden.
Aktuelle Entwicklungen, wie z.B. die Diskussion um Wikileaks und um das Verfahren bei ACTA oder die Proteste zu Stuttgart 21 zeigen, dass es eine große Nachfrage nach demokratischen Beteiligungsformen und transparenter Gestaltung von Entscheidungsprozessen gibt. Dabei lassen diese Beispiele nicht automatisch darauf schließen, dass herkömmliche Prozesse nicht funktionieren oder überholt sind. Die Jungen Liberalen wollen bestehende Beteiligungsformen aber verbessern, offener kommunizieren und durch neue Instrumente ergänzen.
Demokratische Beteiligung findet in Parteien und anderen gesellschaftlichen Organisationen, durch Wahlen mit den dazugehörigen Werbe- und Informationsprozessen und im sonstigen öffentlichen Diskurs statt. Diese Beteiligungsformen leben von gesellschaftlichen Voraussetzungen und der Offenheit beteiligter Akteure. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen und die Offenheit hängen voneinander ab und müssen sich heutzutage neu aufeinander einstellen. In der liberalen Demokratie befruchten sich politische Akteure und offene Bürgergesellschaft gegenseitig.
Das parteienbasierte System der Bundesrepublik Deutschland ist beispielhaft für wirksame demokratische Beteiligung. Die Jungen Liberalen wollen die Parteiendemokratie verteidigen und weiterentwickeln. In den Parteien kann jedoch immer nur ein Teil der politischen Willensbildung erfolgen. Deswegen wollen die Jungen Liberalen auch das gesellschaftliche Engagement in anderen Organisationen stärken.??

Die politische Entscheidungsfindung in Parteien und Parlamenten ist tendenziell langwierig sowie dialog- und kompromissorientiert, führt dafür aber auch meist zu ausgewogenen Ergebnissen. Die Jungen Liberalen wollen das Verständnis in der Gesellschaft dafür schärfen, dass umfangreiche Reformen Zeit brauchen, dies aber kein Indiz für die Handlungsunfähigkeit der Politik sein muss.?

?Neben der Beteiligung an Politik will der Bürger auch die Entscheidungsprozesse als solche verstehen und durchschauen. Die Jungen Liberalen wollen diesem Interesse Rechnung tragen: Transparenz ist Voraussetzung, damit der Bürger politische Entscheidungen kontrollieren kann. Diese umfasst eine vielfältige Darstellung von Information in einem vielfältigen medialen Spektrum mit dem Anspruch, den intellektuellen und materiellen Voraussetzungen jedes einzelnen gerecht werden zu können. Erst wenn ein ausreichendes Maß an demokratischer Beteiligung und Transparenz besteht, kann ein Bekenntnis des Bürgers zum bestehenden demokratischen System verlangt werden. In unserem Bild von der liberalen Demokratie hat der kritische Bürger die notwendigen Informationen über Grundlagen, Verfahren und Abwägungen politischer Prozesse.

In der liberalen Demokratie sind Konflikte kein lästiges Hindernis. In der Auseinandersetzung verschiedener Ideen und Vorschläge setzen sich Mehrheiten durch. Zugleich weist der Rechtsstaat eine mögliche Tyrannei der Mehrheit in die Schranken und sorgt für einen effektiven Minderheitenschutz. Hierzu gehört auch, dass die unterlegene Seite eine ihnen unliebsame Mehrheitsentscheidung hinzunehmen hat. Politische Minderheiten haben die Chance, sich ihrerseits durchzusetzen und Entscheidungen rückgängig zu machen. Eine solche Streitkultur setzt kontroverse politische Positionen voraus. Unterschiedliche Angebote, etwa seitens der Parteien, die sich hinsichtlich ihrer philosophischen Grundlagen und ihrer gesellschaftlichen Zielvorstellungen unterscheiden, sind das Salz in der Suppe der liberalen Demokratie.

1. Gesellschaftliche Wertschätzung für das demokratische System

?Die Wahlbeteiligung und der Organisationsgrad in politischen Organisationen nehmen ab. Während Menschen in der arabischen Welt für freie Wahlen ihr Leben riskieren, stößt die Demokratie bei Menschen in Deutschland zunehmend auf Desinteresse. Strukturen und Angebote der Politik gegenüber der Gesellschaft müssen sich verändern. Die Jungen Liberalen unterbreiten dazu Vorschläge. Doch auch gesamtgesellschaftlich muss die Bereitschaft zum Gespräch und zur Entscheidungsfindung über politische Fragen zunehmen. Nach Auffassung der Jungen Liberalen müssen daher etwa im Bildungssystem die Vorzüge des demokratischen Systems stärker betont werden. Auch die neutrale Darstellung von Beteiligungsmöglichkeiten muss ins Zentrum der Vermittlung rücken.

Bildungseinrichtungen müssen stärker mit zivilgesellschaftlichen Gruppen kooperieren. Podiumsdiskussionen und Fragerunden mit Vertretern aller Parteien und verschiedener gesellschaftlicher Interessengruppen im Vorfeld von Wahlen und Volksabstimmungen müssen die Regel und nicht die Ausnahme sein. In diesem Zusammenhang setzten sich die Jungen Liberalen für eine Öffnung entsprechender Institutionen für politische Organisationen ein. Universitäten, Schulen, Jugendzentren, Volkshochschulen und andere öffentliche Einrichtungen dürfen kein politik- und parteifreier Raum sein. Man kann junge Menschen nicht für die demokratische Debatte begeistern, indem man sie ihnen vorenthält. Neutralität ist richtig, darf aber nicht falsch als Distanz zum demokratischen System und zur politischen Diskussion insgesamt verstanden werden.

Die Jungen Liberalen fordern, dass die Kooperation zwischen Dachorganisationen politischer Jugendorganisationen – etwa dem Ring Politischer Jugend – und Schulen zum Regelfall wird. Wichtig ist dabei ein umfassender Ansatz, der alle Schulformen einschließt.

Im Zentrum muss bei den beteiligten politischen Akteuren nicht in erster Linie das Werben für die eigene Partei stehen. Es kann auch rein um das Steigern der Wahlbeteiligung und das Interesse an Politik gehen. Bei allen Veranstaltungen mit Vertretern widerstreitender Interessengruppen und Parteien ist der Gleichbehandlungsgrundsatz strikt zu beachten.

Eine Öffnung von staatlichen Bildungseinrichtungen für den Diskurs der Parteien zieht unweigerlich die Frage nach der Einbindung radikaler Parteien nach sich. Die Jungen Liberalen sind davon überzeugt, mit Argumenten gegen Extremisten bestehen zu können. Wer als Demokrat die inhaltliche Auseinandersetzung mit extremistischen Positionen scheut, kann die Demokratie nicht verteidigen. Stattdessen profilieren sich extreme Gruppen gerade darüber, von den etablierten Parteien ausgegrenzt zu werden.

In der Lehrerausbildung muss die Vermittlung von Demokratie als Staats- und Organisationsform, aber auch die handwerkliche Vermittlung von Beteiligungsformen eine stärkere Rolle spielen. So darf etwa nicht nur der Politik- bzw. Sozialkundelehrer in der gymnasialen Oberstufe in der Lage sein, den Schülern den Stimmzettel für die Wahl zum Deutschen Bundestag zu erklären oder eine Antwort auf die Frage zu geben, wie beispielsweise eine sechzehnjährige interessierte Schülerin Mitglied einer Partei oder Jugendorganisation werden kann. Die Vermittlung von Demokratie- Inhalten kann nicht auf ein Fach beschränkt sein, sondern muss als Querschnittsaufgabe in allen Fächern eine Rolle spielen. Dass Schülerinnen und Schüler in manchen Bundesländern im Alter von 16 zum ersten Mal bei einer Kommunalwahl abstimmen dürfen, ohne dass Wahlen Gegenstand des Unterrichts gewesen sind, ist ein unhaltbarer Zustand.??

Nach Auffassung der Jungen Liberalen ist insbesondere in einer älter werdenden Bevölkerung die frühe politische Partizipation von Jugendlichen ein zentraler Bestandteil für die Stärkung der Demokratie in der Gesellschaft. Hierzu bedarf es einer frühen schulischen Auseinandersetzung mit unserer Verfassung, unserem Demokratieverständnis, unserer grundlegenden Staatsstruktur und unserem Wahlsystem.

Neben der Einbindung politischer Akteure müssen auch Schülerinnen und Schüler selbst Demokratie verstärkt erfahren. Die Jungen Liberalen unterstützen daher, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung auf Landesebene, Initiativen zur Stärkung der Schülermitverwaltung.

Die Jungen Liberalen begrüßen es, wenn Beteiligungsmöglichkeiten durch die Medien neutral und offen dargestellt werden. Die so genannte Vierte Gewalt vermag es, die Distanz zwischen Politik und Bürgern zu verkleinern, indem sie über das Werden und Wirken von Politik informiert. Im Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Anbieter fordern die Jungen Liberalen eine stärkere Betonung und Darstellung konkreter demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten für den Bürger.

??Für die Jungen Liberalen muss eine liberale Demokratie immer auch eine wehrhafte Demokratie sein. Bestrebungen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit den Instrumenten der Demokratie von innen heraus zu bekämpfen sind von Gesellschaft und Staat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Im Kampf gegen Antidemokraten und Feinde der Freiheit darf die Gemeinschaft der Demokraten nicht von Parteiverboten und anderen restriktiven Schritten zurückschrecken. Eine Ausübung der demokratischen Prinzipien unter dem Deckmantel pseudodemokratischen Strukturen darf sich – insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte – nicht wiederholen.

?2. Verwaltungsverfahren

?Die Jungen Liberalen bekennen sich in den Grundsätzen zum deutschen Planungsverfahren. Das lange Abwägen entgegenlaufender Interessen führt zu einer ausgewogenen Planung mit sachgerechten Ergebnissen. Allerdings darf die Auseinandersetzung nicht in erster Linie gerichtlich nach Erteilung der Genehmigung stattfinden, sondern muss vorher im Planungsverfahren erfolgen.

Die Bürgerbeteiligung im Verwaltungsverfahren gehört auf den Prüfstand. Offenbar reichen herkömmliche Anhörungs- und Auslegungsverfahren nicht aus, um das Interesse der Öffentlichkeit an Planungsverfahren zu befriedigen. Hier soll vor allem auf das Internet als neue Informationsquelle gesetzt werden. Die Jungen Liberalen wollen die Bekanntmachung und Auslegung von Planungsunterlagen grundsätzlich online-gestützt etablieren. Da für viele kleine Kommunen und Planungsverbände die Integration einer dafür notwendigen eGovernance-Plattform häufig finanziell nicht realisierbar ist, ist der Bund aufgefordert, eine entsprechende Plattform anzubieten, derer sich die Kommunen bedienen können, allerdings vor dem Hintergrund der Kommunalhoheit nicht müssen.

Die Jungen Liberalen sprechen sich dafür aus, bei Planungsverfahren frühzeitig Mediations- und Schlichtungsverfahren zu ermöglichen. Partei eines solchen Verfahrens darf nur sein, wer persönlich betroffen ist, und, wenn es um einen Verein geht, wer interne demokratische Strukturen aufweist. Die bestehenden Fristen, nach deren Ablauf Einfluss auf Planungsschritte nicht mehr möglich ist, sind so zu verändern, dass bereits während des Konsultationsprozesses ein Mediations- oder Schlichtungsverfahren gewählt werden kann, welches substantiellen Einfluss auf das Ergebnis des Planungsprozesses haben kann.

Bei der Frage, ob ein solches Verfahren gewählt wird, sollen ansteigende Quoren beachtet werden: Je näher das Verfahren an die Erteilung der Genehmigung rückt, umso größer muss die Zahl derer sein, die ihre Einwände über ein Mediations- oder Schlichtungsverfahren klären lassen wollen. Nach Erteilung einer Genehmigung soll jedoch kein Mediations- oder Schlichtungsverfahren mehr möglich sein.

Die Ergebnisse eines Mediations- oder Schlichtungsverfahrens müssen nach Genehmigungserteilung einklagbar sein. Das berührt nicht die gerichtliche Überprüfbarkeit des Schlichtungs- bzw. Mediationsergebnisses bezüglich seiner Rechtmäßigkeit.

Die Wahrnehmung der durch bestehende Informationsfreiheitsgesetze vermittelten Rechtsansprüche auf Einsichtnahme in Unterlagen von Behörden muss einfacher möglich sein. Dokumente und Informationen sollen dort, wo Rechte Dritter offensichtlich nicht entgegenstehen, in Datenbanken frei verfügbar, statt gegen Verwaltungsgebühr bei den Behörden anforderbar sein.

3. Repräsentative und direkte Demokratie

?Die Jungen Liberalen unterstützen das System der repräsentativen Demokratie. Es ermöglicht eine umfassende und effektive Vertretung der unterschiedlichen Interessen aus dem Volk. In der repräsentativen Demokratie gibt das Volk temporär seine Entscheidungsgewalt an Volksvertreter ab. Grundsätzlich sollte das Volk diese Entscheidungen aber auch überprüfen und unter Umständen auch revidieren können. Deswegen halten die Jungen Liberalen plebiszitäre Elemente für eine sinnvolle Ergänzung, unabhängig von der Frage, auf welcher Ebene man sie einführt. Sie müssen mit der repräsentativen Demokratie in ein Kooperationsverhältnis treten, welches zu mehr Schlagkraft für direkte Demokratie und zu mehr Akzeptanz für Entscheidungen der repräsentativen Demokratie führt.

Allerdings darf direkte Demokratie keine Pseudo-Beteiligung sein, mit der Entscheidungsprozesse bloß verlangsamt werden, ohne dass am Ende mehr Entscheidungen direkt durch das Volk legitimiert sind. Deswegen muss bei allen direktdemokratischen Elementen transparent geregelt und kommuniziert werden, wie die Einflussmöglichkeiten und die Verbindlichkeit der Entscheidung gestaltet sind. Die Voraussetzungen plebiszitärer Elemente müssen verständlich geregelt sein.

Im Allgemeinen befürworten die Jungen Liberalen einen dreiteiligen Aufbau plebiszitärer Elemente, so dass über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid unterschiedliche Instrumente zur Verfügung stehen.

Die Voraussetzungen dieser Instrumente sind jedoch bislang oft widersprüchlich: Es ergibt keinen Sinn und führt zu mangelnder Akzeptanz direktdemokratischer Entscheidungen, wenn der Souverän zur Einbringung eines Gesetzes eine höhere Hürde überwinden muss als sein Vertreter im Parlament. Die notwendige Anzahl an Unterschriften für ein Volksbegehren muss daher an die Anzahl der Stimmen gekoppelt werden, die eine Partei bei der letzten Wahl auf der betroffenen Ebene benötigt hätte, um in das betroffene Parlament einzuziehen. Die Sammlung der Unterschriften für ein Volksbegehen ist auf über ein Online-Portal, ähnlich dem Mitzeichnen von Petitionen, zu ermöglichen. Entsprechend soll der Souverän auch beim Volksentscheid kein höheres Quorum an Stimmen überwinden müssen als sein Repräsentant zur Verabschiedung eines Gesetzes benötigt. Daher muss bei einem Volksentscheid das Zustimmungsquorum bei 50% und einer Stimme der auf die im Parlament vertretenen Parteien entfallenen gültigen Stimmen der letzten Wahl liegen. Für einen erfolgreichen Entscheid ist zugleich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen nötig.??

Dies wird in der Regel zu einer Absenkung der Hürden für ein Volksbegehren und zu einer Steigerung der Annahmevoraussetzungen führen. Auf diese Weise werden die Akzeptanz direktdemokratischer Verfahren und Entscheidungen verbessert, während gleichzeitig das Kooperationsverhältnis mit dem repräsentativen System gestärkt wird.

??Neben fairen Zustimmungsqueren, muss des Weiteren den Bürgerinnen und Bürgern, die ein Bürgerbegehren oder einen Volksentscheiden durchsetzen wollen, ausreichend Zeit zum Sammeln von Unterschriften gegeben werden. Wir fordern daher für alle Verfahren der direkten Demokratie mindestens 2 Monate zum Sammeln benötigten Unterschriften. 

Auch muss es den Parlamenten in einem System gesunden Zusammenspiels von repräsentativer und direkter Demokratie möglich sein, Entscheidungen selbständig an den Souverän zurück zu delegieren. Hierfür erachten wir eine absolute Mehrheit für notwendig.??

Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Einnahmen bzw. Ausgaben des Staates haben, können ebenfalls Bestandteil von Volks- oder Bürgerentscheiden sein. Budgetrelevante Entscheidungen müssen stets eine Gegenfinanzierung beinhalten.??

Im Einzelnen befürworten die Jungen Liberalen plebiszitäre Elemente auf Kommunal- und Landesebene.

Auf Bundesebene muss für den Fall der Beschlussfassung über eine Europäische Verfassung eine Volksabstimmung durchgeführt werden.??

Auch darüber hinaus muss auf Bundesebene die Grundlage für plebiszitäre Elemente geschaffen werden. Diese soll sich an den beschriebenen Regeln zur Einleitung eines Volksbegehrens und zum Zustimmungsquorum bei Volksentscheiden orientieren. ?

Auch auf europäischer Ebene streben die Jungen Liberalen die Einführungen von plebiszitären Elementen an, um die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit der Europäischen Union zu stärken. Die europäische Bürgerinitiative ist nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Zukünftig müssen auch hier verbindliche Entscheidungen mittels plebiszitärer Elemente nach dem beschriebenen Modell getroffen werden können. Dabei gilt außerdem, dass die Bevölkerung einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten zustimmen muss.

4. Kontrolle durch selbstbewusste Parlamente und souveräne Bürger

?Die verstärkte Einbindung von Expertengremien sowie die vereinzelte extreme Beschleunigung parlamentarischer Verfahren, etwa im Zusammenhang mit der Finanzkrise, hinterlassen bei vielen Bürgern den Eindruck, Parlamente seien mit ihren Aufgaben überfordert. Die Jungen Liberalen fordern die Parlamentarier auf, diesem Eindruck entschieden entgegenzuwirken und die eigene Rolle als zentrales Organ des demokratischen Systems ernster zu nehmen. Dazu gehören eine verstärkte Einbindung des Bürgers sowie mehr Transparenz im Hinblick auf Entscheidungsprozesse.

??Wissenschaftliche Gutachten und Kommissionen können Abgeordneten nicht die Entscheidung abnehmen. Gerade bei der Abschätzung zukünftiger Entwicklungen können wissenschaftlich sichere Voraussagen nur in eng begrenztem Rahmen und Gültigkeitsanspruch klare, politisch hilfreiche Antworten liefern. Darüber hinaus sind die Abgeordneten ihren ethischen Grundsätzen und ihrer politischen Risikoabwägung den Bürgern gegenüber verantwortlich.

Politische Entscheidungen stehen oftmals im Spannungsfeld zwischen Informationsinteresse der Öffentlichkeit und Effizienz- bzw. Diskretionserwägungen der Exekutive. Es ist die Aufgabe einer funktionierenden Beteiligungskultur, dass beiden Bedürfnissen ausreichend Rechnung getragen wird. Die grundsätzliche Freiheit der Informationen für den Bürger muss dabei jederzeit die Regel sein, die Geheimhaltung von Informationen dagegen die Ausnahme. Insbesondere die Parlamente sind ein Ort, an dem die Abwägung nur unter ganz bestimmten, engen Voraussetzungen zuungunsten des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ausfallen kann.

Open-Data- und Open-Governance-Strategien müssen weiter ausgebaut werden. Die Parlamente müssen ihre Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive gemeinsam mit dem Bürger ausüben. Dafür müssen die entsprechenden Dokumente und Sitzungen öffentlich zugänglich sein. Das zentrale Dokumentesystem des Bundes muss deutlich verbessert und erweitert werden. Gesetzentwürfe und Ausschussdokumente müssen online zur Verfügung gestellt werden, sobald das Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag beginnt. Parlamentarische Ausschusssitzungen sollen künftig grundsätzlich öffentlich abgehalten werden. Außerdem soll eine Live-Übertragung von Ausschusssitzungen im Internet möglich gemacht werden. Dies gilt nicht für Dokumente und Sitzungen, bei denen ein vom Bundestag festgestelltes Interesse an Geheimhaltung besteht.

Im Vorfeld bestimmter Gesetzesvorhaben soll darüber hinaus die Möglichkeit einer öffentlichen Online-Anhörung gegeben werden, bei der Bürger Stellungnahmen zum Gesetzentwurf einreichen können. Vor der zweiten Lesung des Gesetzes ist ein Bericht, der auf den Stellungnahmen aufbaut, im jeweiligen Ausschuss des Deutschen Bundestages zu behandeln.

Bei der Verabschiedung jedes Gesetzes soll dieses mit einer Gültigkeitsfrist versehen werden. Eine unbegrenzte Gültigkeit eines Gesetzes soll nur sachlich begründet im weitest gehenden Konsens möglich sein: Um ihm diese einzuräumen, muss eine 2/3-Mehrheit erreicht werden. Nach dem Ablauf der Geltungsdauer muss es vom Gesetzgeber überprüft und möglicherweise verworfen werden.

Insbesondere die Beteiligung verschiedener Akteure beim Entstehungsprozess von Gesetzen ist immer wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte. Dass einzelne Interessen in Gruppen, wie etwa Verbänden, organisiert und formuliert werden, gehört zu einem effizienten politischen Diskurs. Dort, wo Vorteile für einzelne Gruppen und Entscheidungsträger jedoch zum Nachteil des Gemeinwohls gewährt werden, ist der Übergang von Lobbyismus zu Korruption durch die Politik zu verhindern.

??Die Jungen Liberalen wollen allen Interessengruppen eine vergleichbare Chance geben, Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen. Neben der neu zu schaffenden Online-Beteiligung sowie bestehenden Zugängen, etwa über den Petitionsausschuss, muss ein Offenes Beteiligungsforum beim Deutschen Bundestag geschaffen werden. Hier haben Interessengruppen, denen keine eigene Lobbying-Infrastruktur zur Verfügung steht, die Gelegenheit, Gespräche mit Abgeordneten zu führen und Informationen mit ihnen auszutauschen. Die Vergabe von Plätzen wird durch den Ältestenrat kontrolliert.??

Auch die Petitionsverfahren bedürfen einer Überarbeitung. Online-Petitionen sind ab einer Zahl von 10.000 Unterzeichnern direkt vom Bundestag und seinen entsprechenden Fachausschüssen zu beraten. Die Petenten haben das Recht, ihr Anliegen im entsprechenden Ausschuss vorzutragen.??

Die Richtung des staatlichen Handelns wird wesentlich durch die Aufstellung der Haushalte bestimmt. Auf Dauer angelegte so genannte Bürgerhaushalte als unverbindliches Beteiligungsinstrument in Kommunen sind eine Chance für einen breit angelegten Dialog zwischen Politik und Bürger über die haushalterische Prioritätensetzung.

5. Wahlrechtliche Grundlagen einer funktionierenden Demokratie??

Die Jungen Liberalen fordern eine Reform des Bundestagswahlrechts, bei der die Möglichkeit eines negativen Stimmgewichts gänzlich beseitigt wird. Hierzu sollen Direktmandate einer Partei den ihr über die maßgeblichen Zweitstimmen im Bundestag zugesprochenen Sitzen gegengerechnet und erst die Differenz, falls vorhanden, per Sainte-Laguë-Verfahren über die Landeslisten vergeben werden.

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