12.12.2004

Deutschland fit machen für den demographischen Wandel

Im Jahre 2050 wird die Bevölkerung Deutschlands nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes von zurzeit 82 Mio. auf 68 Mio. Einwohner zurückgehen. Gleichzeitig wird der Anteil der Personen über 60 Jahren stark ansteigen. Deutschland, wie auch den anderen Industrienationen, droht also nicht nur eine Schrumpfung, sondern auch eine Überalterung. Dies hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Unter Beibehaltung der bisherigen Altersgrenzen und Erwerbsstrukturen geht damit eine Verminderung des Erwerbspotentials und des gesamtgesellschaftlichen Potentials z.B. für Forschung und Entwicklung einher. Immer weniger Kindern und jungen Menschen stehen immer mehr Senioren gegenüber. Dies wird auch Auswirkungen auf das alltägliche Leben z.B. in Städten und Regionen, in denen Senioren plötzlich die größte Bevölkerungsgruppe stellen haben, die heute teilweise erst in Ansätzen vorstellbar sind.

Die beschriebene Entwicklung ist jedoch keinesfalls nur negativ zu betrachten. Die ansteigende Lebenserwartung ist in erster Linie ein Grund zur Freude. Dennoch darf die Lösung der beschriebenen Probleme im Interesse der jungen Generation nicht länger verschleppt werden. Wir müssen den sich durch die demographische Entwicklung verschärfenden weltweiten Standortwettbewerb endlich aufnehmen. Deutschland steht nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch als Gesellschaft und Ort zum erfüllten Leben in Konkurrenz um die eigenen Bürger und die klügsten Köpfe weltweit.

Um diese Auseinandersetzung bestehen zu können, müssen wir zum einen langfristig der Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung entgegenwirken und zum anderen die Gesellschaft und die Sozialsysteme an eine veränderte Größe und vor allem Altersstruktur anpassen. Wir müssen daher vor allem in fünf Bereichen auf den demographischen Wandel reagieren:

I. Konsequent moderne Familienpolitik

Die Hauptsache der demographischen Entwicklung liegt in der Entwicklung der Geburtenrate. Leider können momentan nicht alle Bürger, die einen Wunsch nach Kindern haben, diesen realisieren. Der internationale Ländervergleich zeigt, dass hierbei die Frage der Kinderbetreuung insbesondere in den ersten Lebensjahren – die Schlüsselfrage darstellt. Die oftmals in der Vergangenheit geführte Debatte um z.B. die Höhe des Kindergeldes ist also nicht unbedeutsam, geht aber am Kern des Problems vorbei. Entscheidend ist für potenzielle junge Eltern, ob die Rahmenbedingungen es ihnen ermöglichen, sich grundsätzlich für Kinder und ein erfolgreiches Berufsleben zu entscheiden. Nur so lässt sich auch die für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dringend notwendige Erhöhung der Frauenerwerbsquote erreichen. Diese Problematik zeigt sich auch darin, dass entgegen jahrelanger Ansicht nicht eine wachsende Zahl von Ein-Kind-Familien für die sinkende Geburtenrate in Deutschland verantwortlich ist, sondern vielmehr die wachsenden Zahl gänzlich kinderloser Menschen. So bekommen z.B. rund 40 Prozent der Akademikerinnen keine Kinder. Eine grundsätzliche Vorraussetzung für eine moderne Familienpolitik ist hierbei, dass sich endlich die Einsicht durchsetzt, dass als Familie grundsätzlich jede Lebensgemeinschaft anzusehen ist, die sich entscheidet, Verantwortung für Kinder wahrzunehmen.

Die Jungen Liberalen fordern daher:

a. (Ganztags-)Kinderbetreuung ab Geburt als Regelfall

Der Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung auch für Unter-3-jährige und somit ein flächendeckendes Kinderbetreuungsangebote halbtags wie ganztags – ab Geburt ist schnellstmöglich einzuführen. Entscheidend ist hierbei, dass auch real der Bedarf an Betreuungsangeboten gedeckt wird, ohne Anmeldezeiten bereits vor Geburt des Kindes und monatelange Wartezeiten sowie Zugangskriterien jeglicher Art. Dieser Anspruch muss durchgängig von Geburt des Kindes bis zur Einschulung erfüllt werden. Die hierdurch erreichbare wirkliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf für junge Eltern ist nicht nur der Schlüssel zur Erhöhung der Geburtenrate sondern auch entscheidende Voraussetzung für eine echte Möglichkeit zur individuellen Selbstverwirklichung. Die Kinderbetreuungsangebote sollten auf dem Weg einer Subjektförderung stärker wettbewerblich organisiert werden. Auf diesem Weg lässt sich auch am besten der individuelle zeitliche Umfang für den Wiedereinstieg in den Beruf von den Eltern je nach Wunsch gestalten. Ab der Grundschule muss die Ganztagsschule dann der Regelfall sein, ohne jedoch eine Ganztagsschulpflicht einzuführen. Die Jungen Liberalen setzen sich aber auch für ein stärkeres Herausstellen der elterlichen Erziehungsverpflichtung insbesondere in der frühkindlichen Entwicklung im gesellschaftlichen Diskurs ein.

b. eine Förderung des gesellschaftlichen Wandels

Um eine wirklich kinderfreundliche Gesellschaft zu schaffen und die Geburtenrate in Deutschland zu erhöhen, muss sich das gesellschaftliche Klima in Deutschland verändern. Kinder sollen als Bereicherung empfunden und in allen Lebensbereichen als natürlicher Bestandteil von allen Bürgern und gesellschaftlichen Akteuren akzeptiert werden. Darüber hinaus müssen Eltern, die Familie und Beruf vereinbaren wollen – und dafür zum Beispiel auch schon im jungen Alter auf ganztägliche Betreuungsangebote zurückgreifen – endlich nicht länger, offen oder unterschwellig, als schlechte Eltern dargestellt werden können. Ein solcher gesellschaftlicher Wandel lässt sich nicht staatlich verordnen, sondern bedarf eines langen gesellschaftlichen Prozesses mitsamt entsprechender Debatte. Hier ist jedoch auch die Politik gefordert: Diese muss zum einen in der beschriebenen Debatte ihre Führungsrolle und verantwortung wahrnehmen und darüber hinaus zukünftig weiter in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen bestehende Benachteiligungen und Einschränkungen für Eltern analysieren und abbauen.

c. Kinder finanziell möglich machen

Auch wenn die Frage der Kinderbetreuung aus Sicht der JuLis klare Priorität hat, müssen junge Eltern auch finanziell in die Lage versetzt werden, sich für Kinder zu entscheiden. Daher ist es unser Ziel, die Kinderbetreuungsgebühr abzuschaffen. Die finanzielle Mehrbelastung darf allerdings nicht einseitig zu Lasten der Kommunen gehen. Der Steuerfreibetrag ist für Kinder in gleicher Höhe wie für die Eltern anzusetzen. Das Ehegattensplitting ist durch das Familienrealsplitting zu ersetzen. Der halbierte Kindergeldsatz ist jedoch nicht ab Geburt, sondern (nach dem dritten Monat) ab Feststellung der Schwangerschaft zu zahlen, da die finanziellen Belastungen auch dann schon beginnen.

d. Flexible Arbeitswelt für Eltern schaffen

Auch in der Arbeitswelt muss ein Paradigmenwechsel her: Der Wille und die Einsicht der Unternehmen, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern flexible Lösungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu finden, ist eine entscheidende Voraussetzung für mehr Kinder und mehr berufstätige Frauen. Hier sind Lösungen wie z.B. Betriebskindergärten mit gemeinsamen Mittagessen nur ein Beispiel unter vielen. Neben dem gesamtgesellschaftlichen Wandel muss das Eigeninteresse der Unternehmen an der Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hier den entscheidenden Triebfaktor darstellen.

II. Zuwanderung als eine Antwort

Eine gesteuerte Zuwanderung mit dem Ziel die Erwerbsquote zu erhöhen wird immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dies führt auch zu einer Abfederung von Bevölkerungsverlusten. Die Jungen Liberalen sehen hierin ein klares und eindeutig zu formulierendes Ziel der Politik. Element einer erfolgreichen Migrationspolitik muss daher sein, Zuwanderung nach Deutschland wirksam zu fördern und zu erleichtern und somit deutlich zu erhöhen. Zuwanderung kann den Bevölkerungsschwund nicht verhindern, aber abmildern. Rechnet man die Zuwanderung auf heutigem Niveau bis zum Jahr 2050 hoch, würde die Bevölkerungszahl 68 Millionen Menschen, gegenüber 51 Millionen ohne Zuwanderung, betragen. Vor allem werden die zuwandernden Menschen jünger sein als der Altersdurchschnitt und stehen dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung. Zudem bringen Einwanderer neue Ideen und gesellschaftliche Impulse, die für den Arbeitsmarkt unerlässlich sind. Sie übernehmen darüber hinaus wichtige Aufgaben in der Wirtschaft, für die langfristig Arbeitskräfte fehlen werden. Dies setzt natürlich eine klare Steuerung der Zuwanderung anhand der demographischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse voraus. Dem Vorurteil, dass Migranten Arbeitsplätze wegnehmen, ist selbstverständlich entgegenzuwirken. Alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien müssen sich endlich zur Zuwanderung bekennen und offen für eine Beseitigung von Vorurteilen eintreten.

Die Jungen Liberalen fordern daher:

a. Verhinderung illegaler Einwanderung

Schleuserbanden, die illegale Einwanderung betreiben und Menschen in Not ausbeuten, sind konsequent zu bekämpfen. Illegale Einwanderung schürt die Ängste in der Bevölkerung vor der Ausnutzung der Sozialsysteme und vermindert die Chancen legaler Einwanderer, dauerhaft in Deutschland Fuß zu fassen. Illegale Beschäftigung gefährdet den Arbeitsmarkt und fördert Vorurteile und damit Rassismus. Hierbei ist vor allem im Hinblick auf ein zusammenwachsendes Europa auf eine europaweit einheitliche Regelung hinzuwirken.

b. Integration

Ein modernes und offenes Zuwanderungssystem steht und fällt mit der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Integration von Migranten. Rechte und Pflichten aller Bevölkerungsgruppen müssen ausgewogen sein. Der öffentliche Sektor muss dabei als gutes Beispiel vorangehen und Diskriminierung beim Zugang vom Migranten in das Beamtentum, den öffentlichen Dienst und die Bundeswehr verhindern. Es muss ein Zusammenleben ermöglicht werden, mit dem sich Deutsche und Einwanderer gleichermaßen identifizieren können, ohne ihre Herkunft zu verleugnen. Grundvoraussetzung ist die Beherrschung der deutschen Sprache. Bei allen Integrationsbemühungen sind verpflichtende Sprachkurse an oberste Stelle zu setzen. Einwanderer, die sich den angebotenen und verbindlichen Maßnahmen zu entziehen versuchen, müssen mit finanziellen Sanktionen rechnen. Fremde Kulturen sind eine Bereicherung, keine Belastung. Fundamentalismus darf aber keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Ihm ist entschieden zu begegnen. Dabei sind Bürgerrechte wie Meinungsfreiheit, Datenschutz und Bewegungsfreiheit als höchstes Gut einer liberalen Gesellschaft zu schützen.

Einwanderer müssen die Chance haben, in angemessener Zeit die deutsche Staatsbürgerschaft auch als doppelte Staatsbürgerschaft – zu erwerben. Es ist selbstverständlich, dass dafür bestimmte Voraussetzungen gestellt werden, die zumindest beinhalten, dass der Einwanderer sich in der deutschen Sprache verständlich machen kann und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll kein Geschenk , sondern ein erreichbares Ziel für den Einwanderer sein, um integrationsbereite und leistungswillige Zuwanderer in Deutschland wirksam zu fördern. So wird Zuwanderung erleichtert und kann deutlich erhöht werden. Die Einführung eines Zuwanderungsgesetzes in Deutschland war seit Jahrzehnten überfällig. In seiner jetzigen Form stellt es allerdings ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz dar. Das Gesetz muss aber mehr geregelte Zuwanderung möglich machen, anstatt sie zu verringern.

III. Neubeginn in der Alterssicherung

Unser derzeitiges Rentensystem basiert auf einem Umlageverfahren, nach dem die derzeit arbeitende Generation durch ihre Rentenbeiträge die Renten der jetzigen Rentnergeneration finanziert. Der unabwendbare demographische Wandel macht dieses antiquierte Finanzierungssystem in Zukunft unmöglich, weil immer weniger Einzahler immer mehr Empfängern (Rentnern) gegenüberstehen. Diese Entwicklung erfordert nach jahrzehntelangem Wegsehen und Verschweigen von Seiten der Politik eine klare Neuformierung unseres Alterssicherungssystems, bevor die finanzielle Last untragbar wird und es unweigerlich zum Platzen der Rentenblase kommt.

Grundsätzlich setzen wir einen Systemwechsel von der umlagefinanzierten zur privat angesparten kapitalgedeckten Rente voraus.

Die Jungen Liberalen fordern daher:

a. Umfassende Aufklärung über die demographische Entwicklung in Deutschland

In der Bevölkerung ist immer noch nicht allgemein bekannt, dass die eigenen Rentenbeiträge keine Rücklage für die eigene Rente bilden, sondern für die aktuelle Rentnergeneration eingesetzt werden, ohne dass Geld angespart wird. Dies führt zu Unverständnis und Ablehnung, wenn von der Notwendigkeit von Reformen gesprochen wird. Es muss außerdem auch Verständnis geweckt werden, dass es ungerecht wäre, die jetzt ins Arbeitsleben einsteigende Generation in vollem Umfang mit Rentenansprüchen zu belasten, die unter völlig anderen Grundparametern begründet worden sind. Konsequente Aufklärung und Verständnis der Problematik sind der erste notwendige Schritt um die Menschen für ein neues System der Alterssicherung vorzubereiten.

b. Bürgergeld als Grundsicherung

Um für jeden Bürger eine finanziell abgesicherte Existenz im Alter im Bedarfsfall sicherzustellen, setzen die Jungen Liberalen auf das Bürgergeldmodell. Danach steht jedem Bürger grundsätzlich ein Geldbetrag zu, der sein Existenzminimum sichert, wenn er kein anderweitiges genügendes Einkommen hat. Durch dieses Modell sollen alle Bürger davor geschützt werden, im Alter mittellos zu werden. Die Erträge aus Geldanlagen zur Rentenversicherung werden dabei nur zu 50 % auf das Bürgergeld angerechnet, um zu vermeiden, dass es unattraktiv wird, sich über den Pflichtanteil hinaus für sein Alter abzusichern, wenn nur geringe Mittel zur Verfügung stehen: Wer vorsorgt, soll stets besser stehen als jemand, der nicht vorgesorgt hat.

c. Kapitaldeckung als Prinzip

Die volle Kapitaldeckung der Renten und Pensionen ist auf Dauer der einzig konjunkturell und demographisch vertretbare Weg. Jeder Bürger muss während seines Lebens und insbesondere während seines Arbeitslebens im Rahmen einer Pflicht zur Versicherung selbst dafür Sorge tragen, sich über Versicherungen, Geldanlagen oder ähnliche Mittel Rentenansprüche für sein Alter aufzubauen. Die volle Kapitaldeckung macht zum einen das Rentensystem demographiefest , indem es die Rentenfinanzierung von der Zahl der in Zukunft arbeitenden Bevölkerung löst. Damit wird verhindert, dass Ansprüche an das Rentensystem begründet werden, die eine zukünftige kleinere erwirtschaftende Generation nicht mehr leisten kann.

Die Jungen Liberalen sehen darüber hinaus in der betrieblichen Altersvorsorge eine wichtige Ergänzung der individuellen Altersvorsorge.

d. Ausstieg aus der umlagefinanzierten Rentenversicherung und Einführung einer privaten Absicherung

Von dem Tag des Inkrafttretens eines neuen Rentensystems an werden keine neuen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr erworben. Bisher erworbene Ansprüche bleiben dagegen bestehen. Dies ist aus verfassungsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch, weil Personen wenige Jahre vor dem Ende ihres Berufslebens keine Möglichkeit mehr haben, sich eigene Ansprüche in genügender Höhe durch Geldanlage zu verschaffen.

Der Übergang von der umlagefinanzierten zur vollen privaten Absicherung stellt für eine Übergangsphase, die etwa dem Zyklus einer Generation entspricht, also 30 Jahren, eine erhebliche Belastung dar, besonders für die Generation, die momentan im Arbeitsleben ist. Diese Generation muss die schon entstandenen Rentenansprüche der vorangehenden Generation aufbringen und gleichzeitig erstmals selbst für ihr Alter vorsorgen. Diese Doppelbelastung ist jedoch unvermeidbar. Sie muss aber wo irgend möglich auf eine breite Trägerschaft verteilt und dadurch gemildert werden, damit der arbeitenden Generation genügend Flexibilität zur eigenen Vorsorge gegeben wird. Die Jungen Liberalen fordern daher, dass der Wechsel vom umlagefinanzierten Rentensystem hin zum kapitalgedeckten Rentensystem progressiv über einen Zeitraum von mehreren Generationen vollzogen wird. Progressiv meint, dass die Zahlungen ins umlagefinanzierte Rentensystem von derzeit 100 Prozent über einen festzulegenden Zeitraum auf 80 Prozent herunter gefahren werden, wobei die Umlagekurve wohl schneller gesenkt werden kann, als die kapitalgedeckte Kurve ansteigen muss, da über eine vernünftige Anlage der Zahlungen ins kapitalgedeckte System erheblich bessere Erträge erzielt werden können. Bei der Finanzierung der verbleibenden Differenz ist darauf zu achten, dass nicht bloß eine Generation die volle Last der Umstellung zu tragen hat. Daher ist ein Teil der Transformationskosten aus Schulden zu finanzieren

IV. Das Gesundheits- und Pflegesystem aus seiner demographischen Abhängigkeit lösen

Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wurden in den letzten Jahren schrittweise immer weiter eingeschränkt. Die demographische Entwicklung und die damit einhergehende abnehmende Anzahl von Einzahlern und die Kosten des medizinischen Fortschritts führen gemeinsam mit der allgemeinen Problematik der Kopplung an den Faktor Arbeit und Ineffizienz im System zu Herausforderungen, die die umlagefinanzierten Systeme auch mit Reparaturen nicht mehr bewerkstelligen können.

Die Jungen Liberalen fordern daher:

a. Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung

Die Jungen Liberalen sehen in der Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ein erstrebenswertes Ziel. Sie ermöglicht eine weitgehende Wahlfreiheit für die Patienten. Sie sollen ihren Versicherungsschutz möglichst frei und flexibel gestalten können. Vertragsfreiheit, Therapiefreiheit und freie Arztwahl sind Grundsätze unserer Gesundheitspolitik. Wir sind davon überzeugt, dass der Markt grundsätzlich staatlich organisierten Lösungen überlegen ist und im Gesundheitssystem zu Leistungssteigerungen, Kostensenkungen und einer Ausnutzung der Chancen des medizinischen Fortschritts führen wird. Der Wettbewerb zwischen privaten Versicherungsanbietern und das Kostenerstattungsprinzip werden zu Kostenreduktionen und einem stärker verantwortungsbewussten Verhalten der Patienten führen. Darüber hinaus bietet sich in der Beziehung zwischen Versichertem und einem privaten Versicherer auch am besten die Möglichkeit, über positive Anreizmechanismen Patienten zu einem gesundheits- und kostenbewussten Verhalten zu bewegen.

Als erster Schritt in Richtung eines allgemeinzugänglichen Versicherungsmarktes muss der Arbeitgeberanteil als steuerpflichtiger Einkommensbestandteil an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Hierdurch wird das Gesundheits- und Pflegesystem von Lohnnebenkosten und Konjunktur abgekoppelt. Durch eine Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen soll an Stelle des bisherigen Systems eine Pflicht zur Versicherung treten. Der Umfang dieser Pflicht zur Versicherung entspricht nicht dem heutigen Grundleistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, sondern einer Regelabsicherung für die großen Lebensrisiken und enthält daher gewisse Leistungen nicht mehr.

b. Pflegeversicherung aus ihrer demographischen Abhängigkeit lösen

Durch eine Privatisierung der Pflegeversicherung wird die Pflichtversicherung in diesen Bereich abgeschafft. Stattdessen soll der bisherige Umfang der Pflegeversicherung in die Pflicht zur Versicherung integriert werden. Die Absicherung des Pflegerisikos bis zum Tode werden durch sie abdeckt. Eine Ausweitung der Pflegeleistungen kann natürlich freiwillig vertraglich vereinbart werden.

Für die ehemaligen gesetzlich Versicherten über einem Alter von 50 Jahren werden für einen Übergangszeitraum die Anteile für die fehlenden Einzahlungszeiträume durch den Bund getragen. Diese finanzielle Zusatzbelastung muss eingegangen werden, um die Übergangsphase zu finanzieren. Diese soll sicherstellen, dass die Bürger, die über Jahrzehnte nicht die Möglichkeit besaßen, im hinreichenden Maß private Rückstellungen zu bilden, nicht in die sozialen Sicherungssysteme gedrängt werden. Diese Übergangsphase ist notwendig, auch wenn somit nicht von einer fairen Lastenverteilung zwischen den Generationen gesprochen werden kann.

c. Staatliche Eingriffe auf den Schutz der Patienten reduzieren

Bürger, die auf staatliche Zuschüsse über das Bürgergeld angewiesen sind, müssen natürlich auch die Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, um Ihre Versicherungsprämie zu zahlen.

Die Versicherungsunternehmen werden auf dem Wege des Kontrahierungszwangs dazu gebracht werden, einen Pauschaltarif für alle Bürger anzubieten, der die großen Lebensrisiken abdeckt, jedoch nicht die selbstverschuldeten. In diesem Bereich wird nicht nach möglichen Risikogruppen, Geschlecht oder sonstigen Merkmalen differenziert. Jeder Bürger hat selbstverständlich ab Geburt und unabhängig von seinem Gesundheitszustand Anspruch auf diesen Pauschaltarif. Dabei ist die genetische Prädisposition nicht anzuwenden.

d. Vermittlung durch Konsequenz und Transparenz

Die Jungen Liberalen sind davon überzeugt, dass durch eine solche klare, verständliche, langfristige, nachhaltige und konsequente Veränderung des Systems Widerstände der Betroffenen minimiert werden können. Es handelt sich nicht um Reparaturen des bestehenden Systems, die nur kurzfristig versuchen die Kosten zu senken, indem Einzelne belastet werden. Vielmehr verspricht eine solche Reform längerfristige Konstanz und bietet Chancen für alle.

V. Deutschland 2050 Leben in einer alternden Gesellschaft

a. Verlängerung und Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit unumgänglich

Ältere Menschen werden durch die fortschreitende medizinische Entwicklung und einen Wandel der Arbeitswelt weg von der Industriearbeit, hin zu mehr Arbeit in Dienstleistungsberufen immer länger arbeitsfähig bleiben. Die Tendenz zur verstärkten Nachfrage nach persönlichen Dienstleistungen, etwa im Gesundheitsbereich, wird gleichzeitig gesamtgesellschaftlich steigen. Dies hat zur Konsequenz, dass die wirtschaftliche Entwicklung künftig wieder stärker personengebunden sein wird. Soll die Volkswirtschaft also in Zukunft weiter wachsen, muss das Erwerbspotential, das ältere Menschen einbringen können, genutzt werden.

Künftig wird es in viel stärkerem Maße einen gleitenden Übergang in den Ruhestand geben. Das Modell, nach dem bis zum 65. Lebensjahr grundsätzlich eine volle Erwerbstätigkeit angestrebt wird und danach der vollständige Rückzug in den Ruhestand erfolgt, wird durch einen gleitenden Übergang mit befristeten Beschäftigungen und Teilzeitarbeit abgelöst werden. Ältere Menschen sind aufgrund ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Lage eher bereit, Teilzeitarbeit anzunehmen und wünschen diese auch. Um dieser Bereitschaft auch ein entsprechendes Angebot an Arbeitsplätzen gegenüberzustellen, müssen neben den Flexibilisierungen in der Rentenversicherung alle sozialversicherungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Hindernisse bei der Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen abgeschafft werden. Dazu zählt z.B. die Schwellenwertberechnung im Kündigungsschutzgesetz. Daneben sind auch hier Pauschalversteuerungsmodelle für Geringverdiener und das einen Hinzuverdienst ermöglichende Bürgergeldsystem entscheidende Voraussetzungen.

b. Bildung und lebenslanges Lernen sind Schlüsselantworten

Da der Anteil der jungen Menschen in Deutschland in Zukunft geringer als heute sein wird, müssen die Verbleibenden in Bildung, Ausbildung und Forschung umso leistungsfähiger werden, damit Deutschland nicht dramatisch im internationalen Wettbewerb zurückfällt. Eine ganz neue Priorität für die Bildungspolitik ist daher eine der entscheidenden Antworten auf die demographische Entwicklung. Hierbei müssen zum einen die Ausbildungszeiten verkürzt werden, gleichzeitig aber die Bildungsqualität sowohl in der Breite als auch in der Elitenförderung stetig erhöht werden.

Damit ältere Menschen auch weiterhin aktiv am Erwerbsleben teilnehmen können, ist eine stetige Weiterqualifizierung unverzichtbar. Lebenslanges Lernen und Weiterqualifizierung im Alter sind für ein längeres Verbleiben im Arbeitsleben eine zwingende Voraussetzung. Dazu sind entsprechende fördernde Rahmenbedingungen zu schaffen und es wird insbesondere auf langfristige Veränderungen in den einzelnen Unternehmensphilosophien ankommen.

c. Wirtschaftliches Potenzial nutzen

Es wird befürchtet, dass mit der Alterung der Gesellschaft ein Verlust an Innovations- und Konsumpotenzial verbunden ist: Jüngere Menschen stellen gewohnte Strukturen eher in Frage als ältere Menschen und sind möglicherweise eher bereit, Risiken einzugehen.

Es wird darauf ankommen, dass gerade auch ältere Menschen durch ein längeres Verbleiben im Erwerbsleben und durch einen massiven Ausbau des lebenslangen Lernens ihre Innovationsfähigkeit behalten. Durch ihre Erfahrung sind sie eigentlich viel stärker als jüngere Menschen in der Lage, Strukturen in Frage zu stellen. Sie müssen in den Unternehmen etwa durch Anreizsysteme oder auch in der Öffentlichkeit z.B. durch entsprechende Wettbewerbe dazu motiviert werden, bestehende Strukturen in Frage zu stellen und Anregungen für Neues zu geben.

Da ältere Menschen tendenziell wirtschaftlich unabhängiger sind als jüngere, die ihr Leben mit Investitionen in Familie, Immobilien oder Alterssicherung noch vor sich haben, kann es gelingen, gerade ältere Arbeitnehmer dazu zu motivieren, Risiken einzugehen und etwa im dritten Lebensabschnitt noch ein Unternehmen zu gründen.

Ältere Menschen konsumieren anders als jüngere. Mag zwar der Wunsch nach einem Eigenheim oder einem neuen Auto in jungen Jahren größer sein als später, so ist gerade im Bereich der Inanspruchnahme persönlicher Dienstleistungen der Konsum im Alter steigend. Es wird daher wirtschaftlich und gesellschaftlich darauf ankommen, dass auf die Bedürfnisse älterer Menschen eingegangen wird.

Letztendlich wird die Steigerung des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung die Gesellschaft insgesamt verändern. Damit ist nicht notwendigerweise ein Verlust an Wohlstand verbunden, wenn man aus der Grunderkenntnis die richtigen Schlüsse zieht. Ältere Menschen müssen gefördert und gefordert werden, ihren Beitrag zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Weiterentwicklung des Landes zu leisten.

d. Regionale Unterschiede zulassen

Das Sinken der Bevölkerungszahl wird nicht flächendeckend gleich verlaufen. Bereits jetzt zeigt sich, dass einige Regionen in weit stärkerem Maße vom demographischen Wandel betroffen sind als andere Regionen, die einen hohen Zuwachs an Bevölkerung aufweisen (z.B. Region München). Dies wird sich unverändert fortsetzen.

Es werden in immer stärkerem Maße demographisch ausgewogene Ballungsräume entstehen, während andere Gegenden immer stärker veröden. Historisch gesehen hat es immer wieder Wanderungsbewegungen innerhalb eines Landes und darüber hinaus gegeben. Auch die ungleiche Entwicklung der Bevölkerungszahlen ist nichts Neues. Aus liberaler Sicht macht es keinen Sinn, diesem Prozess politisch entgegenzusteuern.

Sollte diese Entwicklung tatsächlich zur Konsequenz haben, dass einige Landstriche in Deutschland im Jahre 2050 nahezu entvölkert sind oder als naturnahes Freizeit- oder Feriengebiet dienen, so ist dies hinzunehmen. Eine flächendeckende Aufrechterhaltung der vollen Infrastruktur (Bildungsangebote, Verkehrswege usw.) ist nicht nur ökonomisch unsinnig, sondern auch illusorisch.

Im Bereich der Stadtentwicklung wird es zu einem sehr heterogenen Bild kommen: Es ist damit zu rechnen, dass sich altersmäßige Bevölkerungsanteile nicht konstant in den Städten wieder finden werden, sondern es z.B. zu einigen sehr jungen Metropolen und einigen Seniorenstädten mit entsprechenden Unterschieden in Infrastruktur, öffentlichem Leben etc. kommt. Dies stellt aus liberaler Sicht jedoch kein Problem, sondern vielmehr ein ungeheures Potenzial für autonome Stadtprofile und positiven Standortwettbewerb auch unter deutschen Städten dar.

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