„Die FDP geht komplett unabhängig in die Wahlen“

Digitalisierung, Überwachung, Populismus –Darüber hat unser Bundesvorsitzender Konstantin in einem Interview mit der Zeitschrift „Forum – Das Wochenmagazin“ gesprochen.


Herr Kuhle, es schien lange so, als würden die Grünen der FDP den Platz im Parteienspektrum streitig machen. Inzwischen melden sich die Liberalen wieder zurück, die Grünen schwächeln. Woran liegt’s?

Konstantin: Der Erneuerungsprozess der FDP hat Früchte getragen, wie man bei den Landtagswahlen sieht. Das zeigt sich insbesondere daran, dass Protagonisten wie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki als Spitzenkandidaten eine optimistische Grundhaltung in den Menschen wecken. Uns geht es um die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Wir wollen einen Schritt vorangehen bei der Digitalisierung und bei der Bildung. Das haben viele Menschen begriffen. Und sie haben begriffen, dass die FDP mit neuem Selbstbewusstsein auftritt. Wir legen uns nicht mehr von vornherein fest und treten nicht mehr als ‚Arbeitskreis Freiheit‘ der CDU auf. Die FDP geht komplett unabhängig in die kommenden Wahlen. Mit Blick auf die Grünen muss man sagen, dass sie mit der Kernenergie ihr Kernthema durch den Atomausstieg verloren haben. Und dann wird in einer Situation wie der Flüchtlingskrise oder zuletzt den Ereignissen in Hamburg eine bestimmte Art grüner Herangehensweise deutlich, die bei vielen Menschen nicht ankommt.


„Uns geht es um die modernisierung von wirtschaft und gesellschaft. wir wollen einen schritt vorangehen bei der digitalisierung und bei der bildung.“

Konstantin im Interview


Um Digitalisierung und Bildung kümmern sich auch andere Parteien. Wofür wird die FDP gebraucht?

Konstantin: Wir können anhand vieler Kernpunkte aus der FDP-Programmatik feststellen, dass die Liberalen nach wie vor gebraucht werden. Beispiel Wirtschaftspolitik: Die SPD hat mit der Einführung der Rente mit 63, des Mindestlohns und der Mietpreisbremse der CDU das wirtschaftspolitische Programm diktiert. Es gibt viele Menschen, die sich einsetzen wollen für Selbstständigkeit, für wirtschaftliche Freiheit, für Entbürokratisierung. Die finden sich bei der Union nicht mehr wieder. Da einen Ansprechpartner zu haben, auch für kleine und mittelständische Betriebe, dafür ist eine FDP-Haltung wichtig. Das war manchmal nicht ganz erkennbar, weil der Eindruck entstand, die FDP würde nur bestimmte Gruppen ansprechen. Aber diese Themen gehören schon seit Jahrzehnten zu unserem Kernbestand, wie auch der Bürgerrechtsbereich. Just in der letzten Sitzungswoche der Wahlperiode hat die Große Koalition beispielsweise einen Staatstrojaner beschlossen und konnte dabei nicht erklären, wie der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden soll. Und gerade beim neuen Thema Digitalisierung wird deutlich, dass die FDP die Fortschrittspartei ist.


„Es gibt viele menschen, die sich einsetzen wollen für selbstständigkeit, für wirtschaftliche freiheit, für entbürokratisierung. Die finden sich bei der union nicht mehr wieder.“

Konstantin im Interview


Bildung ist gemeinhin das zentrale Thema politischer Jugendorgani­sationen. Wo würden Sie als Erstes ansetzen?

Konstantin: Schulen sollen sich digitalisieren, differenzieren und Inklusion betreiben. Doch dafür fehlt ihnen das notwendige Geld. Deshalb stellen wir infrage, ob der Bund wirklich gar keine Schulpolitik finanzieren sollte. Es gibt derzeit spezifische Aufweichungen des Kooperationsverbotes für bestimmte Arten von Baumaßnahmen – das geht uns aber nicht weit genug. Wir müssen viel mehr über neue Ideen nachdenken: Man könnte etwa einen Staatsvertrag zwischen den Ländern schließen, in dem man sich verpflichtet, einen bestimmten Teil des Haushalts für Bildungsaufgaben auszugeben. Das würde den Bildungsföderalismus nicht abschaffen, aber neue Prioritäten setzen. Man könnte auch einen Fonds für bestimmte Aufgaben einrichten, oder einen bestimmten Teil der Umsatzsteuer zweckgebunden für Bildungsaufgaben vorsehen.

Beim Umgang mit privaten Daten gibt es einerseits die Angst vor zunehmender Überwachung, auf der anderen Seite gibt man Persönlichstes freiwillig preis. Wie gehen Sie mit diesem Phänomen um?

Konstantin: Es stimmt, und manchmal kommt man dann schon ins Grübeln. Es gibt aber bestimmte Ereignisse, die mich positiv stimmen: Als Facebook beispielsweise Whatsapp übernommen hat, sind die Zahlen von verschlüsselten Messenger-Diensten gestiegen. Menschen haben also das Bedürfnis, dass ihre Daten sicher sind. Whatsapp hat darauf reagiert, und zwar nicht freiwillig, sondern weil sie gemerkt haben, dass Menschen ein Bedürfnis haben, dass ihre Daten nicht überall abgezapft werden. In diesem Thema ist also eine gewisse Dynamik drin. Wir müssen darüber reden, wie wir es gestalten und da ist Datenschutz auch als europäisches Thema gegenüber den USA ein wichtiger Punkt.

Populistische Bewegungen, die auf Abschottung setzen, auf Re-Nationalisierung, finden ungebrochen hohen Zuspruch. Auch unter jungen Menschen. Was antworten Sie denen?

Konstantin: Dieses Phänomen hat sicher mit der Angst zu tun, im Zuge der Globalisierung und Europäisierung ein Stück eigener Identität aufgeben zu müssen und gezwungen zu sein, etwas tun zu müssen, was man nicht will. Wenn das noch auf eine gewisse wirtschaftliche Not trifft, die es in Teilen gibt, entstehen daraus schnell einfache Feindbilder. Politik muss sich sehr genau überlegen, wie sie die Vorteile, welche die europäische Integration und die weltweite Einbindung bringen, in den Vordergrund stellen kann. Man erlebt das besonders in Grenzregionen. Wir sollten Themen wie Freihandel oder Binnenmarkt also viel selbstbewusster vertreten.


„Politik muss sich sehr genau überlegen, wie sie die vorteile, welche die europäische integration und die weltweite einbindung bringen, in den vordergrund stellen kann.“

Konstantin im Interview


Und das hilft gegenüber Populisten?

Konstantin: Es ist unsere Aufgabe, die Argumente überzeugend zu vertreten. Wir erleben ja, dass Schülervertretungen oder Asten (Studierendenvertretungen), die Podiumsdiskussionen machen wollen, vor der Frage stehen: Laden wir die Populisten ein oder nicht. Dann sagen leider oft Grüne oder SPD: Wir kommen nicht, wenn die kommen. Das führt dann dazu, dass die Veranstalter als „objektives“ Kriterium die im Bundestag vertretenen Parteien heranziehen und wir Julis mit ausgeladen werden – sozusagen als Kollateralschaden. Das ist für Liberale manchmal schon demütigend, nicht dabei sein zu können, denn wir können die Populisten ganz gut stellen.

Der Wiederaufstieg der FDP hängt wesentlich mit dem Namen Christian Lindner zusammen. Erklären Sie uns mal dieses Phänomen.

Konstantin: Christian Linder ist wahnsinnig diszipliniert und ein Mensch, der unheimlich viel arbeitet. Er hat sich für sein Alter ein beachtliches Polster an Erfahrungen erarbeitet, das sich mit einem ungemein großen Talent paart.

Jugendorganisationen anderer Parteien profilieren sich oft gegen die Altvorderen. Macht es jemand wie Christian Lindner den Jungliberalen schwer?

Konstantin: Manchmal ja. Wenn Christian Lindner zu einer Veranstaltung kommt, sind häufig 1000 Leute da. Wenn wir Julis eine eigene Veranstaltung auf die Beine stellen nicht. Das ist schade, aber ist das wirklich schlimm? Für uns ist viel wichtiger: Vertritt er in jedem Punkt die Positionen, die wir Jungen Liberalen haben? Das ist nicht der Fall. Das war so in der Flüchtlingspolitik und das ist so in der Rentenpolitik, wo die FDP aus unserer Sicht nicht weit genug geht.

Man hat den Eindruck, dass nach langer Zeit das Interesse junger Menschen an Politik wieder gewachsen ist. Das bestätigen auch Studien. Worauf führen Sie das zurück?

Konstantin: Dies ist sicher auf akute Ereignisse zurückzuführen: Trump, Brexit – das war für viele junge Menschen eine Zäsur. Ich habe da viel Verzweiflung gespürt und es hat sicher dazu beigetragen, dass sich junge Menschen wieder politisch engagieren wollen. In allen Parteien übrigens. Ich würde mir wünschen, dass das aber nicht nur die erreicht, die ohnehin schon politisch denken. Wir haben bei den Julis viele Studierende, aber viel zu wenig Auszubildende. Es gibt auch zu wenig Frauen. Es täte uns also ganz gut, ein bisschen breiter aufgestellt zu sein.