22.07.2025

„Opferschutz? Fehlanzeige! – Wo Deutschlands Umsetzung der Istanbul-Konvention versagt“

Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt stellen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen dar, die weltweit Millionen von Frauen betreffen – auch in Deutschland. Trotz der Ratifizierung der Istanbul-Konvention im Jahr 2017 sind zentrale Verpflichtungen dieses Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Deutschland noch nicht vollständig umgesetzt. Der Evaluierungsbericht der Expertengruppe GREVIO aus dem Jahr 2022 zeigt auf, dass es weiterhin erhebliche Lücken bei der nationalen Koordination, dem Opferschutz und der Strafverfolgung gibt. 

Die Jungen Liberalen fordern die folgenden Maßnahmen unverzüglich zu ergreifen, um die vollständige und umfassende Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland sicherzustellen. Der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt, die Förderung ihrer Rechte sowie die wirksame Strafverfolgung von Täter sind zentrale Verpflichtungen, die konsequent erfüllt werden müssen.

  1. Einrichtung einer nationalen Koordinierungsstelle
    Gemäß Artikel 10 der Istanbul-Konvention ist eine nationale Koordinierungsstelle einzurichten, die bundesweit alle Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen koordiniert und überwacht. Diese Stelle soll als Schnittstelle zwischen den Bundesländern und der Bundesregierung fungieren und den Informationsaustausch sowie die Umsetzung einheitlicher Maßnahmen gewährleisten.
  2. Entwicklung eines nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
    Es wird ein umfassender nationaler Aktionsplan gefordert, der auf Grundlage einheitlicher Definitionen von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt konkrete Ziele und Maßnahmen festlegt. Der Plan muss alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt erfassen, intersektionell Diskriminierung berücksichtigen und spezifische Programme zur Prävention, Unterstützung und Strafverfolgung beinhalten.
  3. Sicherstellung von Schutzunterkünften und Unterstützungsleistungen
    Die Anzahl von Schutzunterkünften für Opfer häuslicher Gewalt ist bundesweit deutlich zu erhöhen, und es sind einheitliche Qualitätsstandards zu definieren. Der Zugang zu diesen Einrichtungen darf nicht durch Kriterien wie Aufenthaltsstatus, Behinderungsgrad oder die Anzahl der Kinder eingeschränkt werden. Die Finanzierung ist sicherzustellen.
  4. Risikobewertung und interdisziplinäre Zusammenarbeit
    Ein standardisiertes Verfahren zur geschlechtersensiblen Risikobewertung bei häuslicher Gewalt ist einzuführen. Alle beteiligten Akteure, wie Polizei, Justiz und Sozialdienste, sind in die Durchführung dieser Bewertungen einzubinden, um die Sicherheit von Gewaltopfern zu gewährleisten.
  5. Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Strafverfolgung von Täter
    Die Strafverfolgung von Gewaltverbrechen, insbesondere in Fällen von körperlicher und sexueller Gewalt, ist zu verstärken. Hierzu sind verbindliche Richtlinien für die Erhebung von Beweismitteln sowie eine Verkürzung der Verfahrensdauer bei der Strafverfolgung von Gewaltstraftaten zu erlassen.
  6. Anpassungen und Reformen des Sexualstrafrechts
    Das Sexualstrafrecht dahingehend zu reformieren, um sicherzustellen, dass nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen oder das Nötigen zu diesen konsequent strafrechtlich verfolgbar und sanktionierbar sind. Die Einwilligung muss freiwillig in der jeweiligen Situation unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erfolgen. Hierfür sind notwendige gesetzliche Anpassungen vorzunehmen und das Bewusstsein in der Öffentlichkeit sowie bei Fachkräften zu schärfen.
  7. Stärkung der Maßnahmen zur Verhinderung geschlechtsspezifischer Tötungen (Femizide)
    Es ist ein Überprüfungsmechanismus für Tötungsdelikte im häuslichen Umfeld einzurichten, um die Hintergründe und Mängel im staatlichen Schutzsystem zu analysieren und zukünftige Femizide zu verhindern. Es braucht sowohl eine nationale, als auch europäische Strategie, die das Prinzip “Name it, Count it, End it” verfolgt.
  8. Schutz von Migrantinnen und Asylbewerberinnen
    Der eigenständige Aufenthaltstitel für Migrantinnen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, ist unabhängig vom Status des Partners zu gewährleisten. Zudem sind Frauen, die Opfer von Zwangsheirat wurden, das Recht zur Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen.
  9. Förderung der Sensibilisierung und Schulung von Fachkräften
    Es ist ein flächendeckendes Fortbildungsprogramm für Fachkräfte in Polizei, Justiz, Gesundheitswesen und Sozialarbeit zu entwickeln, das die geschlechtsspezifischen Aspekte von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in den Fokus rückt. Für in diesem Bereich arbeitende Akteure sollen Aus- und stetige Fortbildungen verpflichtend sein.
  10. Besondere Unterstützung für vulnerable Gruppen
    Es sind spezifische Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung besonders gefährdeter Frauengruppen, wie Frauen mit Behinderungen, Migrantinnen, Obdachlose, LGBTQIA+-Personen und Minderjährige, zu entwickeln und zu implementieren.
  11. Einbindung und Unterstützung von NGOs in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
    Wir fordern Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stärker in die Entwicklung, Umsetzung und Überwachung von Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einzubeziehen. Hierfür sind regelmäßige Konsultationen mit relevanten NGOs, die auf diesem Gebiet tätig sind, verbindlich zu etablieren. Zusätzlich sind ausreichende finanzielle Mittel bereitzustellen, um ihre Arbeit zu unterstützen und sicherzustellen, dass sie flächendeckend und unabhängig arbeiten können. Die Expertise der Zivilgesellschaft ist ein unverzichtbarer Bestandteil, um effektive und nachhaltige Lösungen für den Schutz von Frauen zu entwickeln.
  12. Bundesweite Harmonisierung der Verfahren zur Auflösung von Zwangsehen
    Die Jungen Liberalen fordern, die Verfahren zur Auflösung von Zwangsehen bundesweit zu harmonisieren. Es sind einheitliche rechtliche Standards zu schaffen, die eine schnelle und unbürokratische Annullierung solcher Ehen ermöglichen, unabhängig vom Bundesland. Dabei ist sicherzustellen, dass Betroffene umfassenden Schutz und Unterstützung erhalten, einschließlich eines gesicherten Aufenthaltsstatus, unabhängiger Rechtsberatung und Zugang zu Schutzunterkünften. Einheitliche Verfahren tragen dazu bei, dass Opfer von Zwangsehen in ganz Deutschland gleichberechtigten Zugang zu rechtlichem Schutz und Unterstützung erhalten.
  13. Konsens und Gewaltprävention in der Bildung
    Wir fordern, gezielte Bildungsprogramme zur Sensibilisierung jungen Menschen im Hinblick auf sexuelle Gewalt, Konsens und respektvolle Beziehungen zu entwickeln und flächendeckend in Schulen und außerschulischen Einrichtungen zu implementieren. Diese Programme sollen frühzeitig Themen wie Einvernehmlichkeit, Geschlechtergleichstellung und den respektvollen Umgang mit anderen behandeln. Ziel ist es, eine Kultur des Konsens zu fördern und das Bewusstsein für die Verantwortung gegenüber potenziellen Opfern zu schärfen. Lehrer, Sozialarbeiter und andere Fachkräfte sind entsprechend zu schulen, um diese Bildungsangebote wirksam umzusetzen.
  14. Umfassende Präventionsmaßnahmen
    Es bedarf flächendeckende und langfristige Präventionsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, um Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt von Grund auf zu verhindern. Diese Maßnahmen sollen neben Bildungsprogrammen auch Aufklärungskampagnen in den Medien, Arbeitsplätzen und der breiten Öffentlichkeit umfassen. Ziel ist es, gesellschaftliche Stereotype und geschlechterbasierte Rollenbilder abzubauen, die Gewalt fördern. Präventive Programme sollen sich sowohl an Männer und Jungen als auch an Frauen und Mädchen richten, um das Bewusstsein für Gleichberechtigung, Respekt und den Schutz vor Gewalt zu stärken. Diese Initiativen müssen durch kontinuierliche staatliche Förderung gesichert werden.

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