KUHLE-Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“

LEIPZIG. Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis), Konstantin KUHLE, sowie der Landesvorsitzende der Jungliberalen Aktion Sachsen (JuliA), Philipp HARTEWIG, gaben der „Leipziger Volkszeitung“ für deren heutige Ausgabe das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Debski.

 

Sie haben die Führung bei den Jungen Liberalen übernommen, als die Partei am Boden lag. Was hat sich seit den Wahlniederlagen von 2013 und 2014 verändert?
Konstantin KUHLE: Das Gefühl, mit dem die FDP Politik macht. Es gab natürlich  Austritte – aber auch viele Menschen, die mit einer Jetzt-erst-recht-Stimmung zu den Liberalen gekommen sind. Früher hat es Landesverbände gegeben, die gegeneinander und gegen die Bundespartei gearbeitet haben, das legt sich allmählich. Hinzu kommt, dass wir wieder an Selbstsicherheit gewonnen haben. Nach 2009 hatte die FDP in der Bundesregierung sehr viel Dresche erhalten. Und das häufig zu recht. Das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit, gerade gegenüber der Union, sind jetzt aber wieder gewachsen.
Philipp HARTEWIG: Die Zusammenarbeit zwischen den Landesverbänden ist viel besser geworden. Natürlich ist es speziell in Sachsen, nach der Niederlage 2014, erheblich schwerer geworden, politisch zu arbeiten – weil die Zugänge zu Informationen nicht mehr so einfach sind. Insgesamt muss die Partei noch mutiger werden, um eigene Akzente zu setzen.

Der Einfluss der Jungen Liberalen auf die FDP in Sachsen wächst – aber wohl nur deshalb, weil nach der Wahlschlappe von der Partei kaum noch etwas übrig ist?
HARTEWIG: Die personellen Einschnitte waren groß, das stimmt. Was noch schwerer wiegt, ist, dass etliche Kreisverbände nur ungenügend mitziehen, kaum selbst aktiv werden. Es scheint so, dass bei vielen noch der Regierungsmodus im Kopf ist – dabei müsste die FDP viel frecher werden, mehr neue Themen anpacken und sich nicht auf Standards wie Wirtschaft, Verkehr oder Windräder beschränken.

Was könnte das sein?
HARTEWIG: Zum Beispiel die Gesellschaftspolitik. Nehmen Sie die Integrationspolitik, wo in Sachsen sehr viel schief gelaufen ist und immer noch läuft. Da will sich die FDP nicht die Finger verbrennen. Oder das Wahlrecht mit 16 Jahren, wofür wir schon seit Langem eintreten. Oder ein mutiges Ladenöffnungszeiten-Gesetz, das die Öffnungszeiten freigibt. Doch die Landespartei will ihr konservatives Klientel nicht verprellen. Man muss in der Opposition lauter sein als in der Regierung, wenn man wahrgenommen werden will – das muss die Landes-FDP erst noch verstehen.

Im Bund scheint das schon zu funktionieren.
KUHLE: Ja, es hängt allerdings noch zu viel von einer einzigen Person, Christian Lindner, ab. Die Landesverbände lernen, dass auch sie aktiver und thematisch breiter aufgestellt sein müssen. Natürlich ist es wichtig, dass viele Selbstständige die FDP wählen – das kann aber nicht alles sein. Beim Wirtschaftsthema darf es beispielsweise nicht allein ums Bewahren gehen, sondern es muss darum gehen, die Voraussetzungen zu schaffen, damit sich Handwerk und Wirtschaft ansiedeln oder bleiben können. Ein wichtiges Stichwort dafür lautet Digitalisierung. Wenn immer noch die Hälfte Sachsens von einigermaßen funktionierenden Internetverbindungen abgeschnitten ist, bedeutet das einen entscheidenden Standortnachteil.

Die von der Landesregierung ausgerufene digitale Offensive reicht Ihnen also nicht?
HARTEWIG: In keiner Weise. Man versucht aufzuholen, doch bekommt nicht mit, dass viel weiter gedacht werden muss. Nehmen wir das Beispiel Schule: Soziale Netzwerke und Medien werden hier meist als Gefahr gesehen, es herrscht eine allgemeine Technikfeindlichkeit – dabei müsste es um die Potenziale dieser Technik gehen. Die Abwehrhaltung hängt sicherlich mit der Altersstruktur und der mangelnden Weiterbildung der Lehrer zusammen, außerdem mit der schlechten Computerausstattung. Wenn wir in die Zukunft schauen, müssen die Jugendlichen gerade in diesen Bereichen fit gemacht werden. Ich bin beispielsweise in Russland zum Schüleraustausch gewesen. Dort ist der digitale Unterricht seit Langem völlig normal und auf einem deutlich höherem Niveau als bei uns.

Das heißt: Wenn  sich nichts ändert, wird das Bildungsniveau sinken?
KUHLE: Genau das ist die Gefahr: Sachsen und Deutschland drohen, im technischen Bereich und in der Ausbildung den Anschluss zu verlieren – aufgrund einer gefährlichen Skepsis gegenüber neuer Technik. Bildungspolitiker reden den Menschen ein, nur weil ein Jugendlicher aufs Smartphone schaut, ginge es bergab. Wenn dieses veraltete Denken weiterhin der Maßstab bleibt, können wir uns von unserer führenden Wirtschaftsrolle verabschieden. Wie wenig CDU und SPD das verstanden haben, zeigt sich daran, dass sie bereits den nächsten Renten-Wahlkampf planen. beim Dabei müssten wir stattdessen dringend über Bildungsinvestitionen sprechen, über bessere Ausbildungen, über mehr Mitgestaltung und Selbstständigkeit.

Sachsen hat das Politikverbot für Schulen aufgehoben. Hilft dieser Schritt gegen die grassierende Politikverdrossenheit?
KUHLE: Zunächst einmal: Es ist wichtig, dass Jugendliche unterschiedliche Meinungen hören und darüber diskutieren können. Deshalb ist die Aufhebung des Politikverbots an Schulen richtig. Ich denke, dass Jugendliche gar nicht so politikverdrossen sind, wie ihnen unterstellt wird. Vielleicht ist es eher eine Parteienverdrossenheit – Parteien sind ein großes Tabu. Es kommt darauf an, klarzumachen, dass Politik schon in der Schule anfängt: Wenn man beispielsweise für andere Pausenzeiten kämpft oder einen Spendenlauf organisiert, ist dieses Engagement schon Politik. Es muss nicht immer ums große Ganze gehen, die kleinen Initiativen sind entscheidend.

Wie sind Ihre Erfahrungen in Sachsen?
HARTEWIG: In Sachsen muss sich an den Schulen eine viel stärkere Diskussionskultur entwickeln, und die das Besprechen unterschiedlicher Meinungen zulässt. Bislang wurde eher das Desinteresse gefördert. Und es gibt das Problem, dass extreme Ansichten weit verbreitet sind. Das mag aus persönlicher Unzufriedenheit, die sich auch von den Eltern auf die Kinder überträgt, resultieren, wie auch aus Vorurteilen und falschen Fakten. Wenn man sich zum Beispiel die AfD im Landtag ansieht, kann man nur den Kopf schütteln: So viele Fehler und so viel Inkompetenz hätte ich mir nicht vorstellen können. Da herrscht häufig eine fundamentale Unkenntnis bei Sachthemen. Das Problem ist, dass sich kaum einer der AfD-Wähler dafür interessiert, was „seine“ Abgeordneten so zustande bringen, außer schimpfen. Auch darüber würde ich gern mal diskutieren, natürlich mit AfD-Politikern.