KUHLE und BUSCHMANN-Gastbeitrag zur Affaire BÖHMERMANN für den „Tagesspiegel“

Anlässlich der Ermächtigung der Bundesregierung, durch die die Strafverfolgungsbehörden gegen den Satiriker Jan BÖHMERMANN wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts zu ermitteln, schrieben der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Konstantin KUHLE, und der Bundesgeschäftsführer der Freien Demokraten, Marco BUSCHMANN, heute den nachfolgenden Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ (http://www.tagesspiegel.de/politik/gastbeitrag-die-boehmermann-entscheidung-der-bundesregierung-ist-falsch/13470676.html):

Die Böhmermann-Entscheidung der Bundesregierung ist falsch

Die Bundesregierung hat den deutschen Strafverfolgungsbehörden auf Verlangen der Türkei eine Ermächtigung erteilt, gegen den Entertainer Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes zu ermitteln. Diese Entscheidung spaltet Deutschland – quer durch Parteien und Medienlandschaft. Sogar die Bundesregierung ist uneins wie nie. Denn dass sich sowohl Außen- als auch Justizminister öffentlich von einer Erklärung der Bundeskanzlerin distanzieren, ist beispiellos. Gleichwohl fand das Ergebnis bei einigen Kommentatoren Zuspruch. Wenn man aber sämtliche Argumente abwägt, spricht mehr dafür, dass die Entscheidung falsch und ihre Begründung unzureichend ist – politisch, aber auch rechtlich.

Vorweg: Selbstverständlich schützt das deutsche Strafrecht auch die persönliche Ehre des türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan, den Jan Böhmermann mit seinem Spott ins Visier genommen hat. Selbstverständlich ist ebenso, dass sich Böhmermann mit seinem Schmähgedicht in das komplexe Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit begeben hat, das im Einzelfall am besten unabhängige Gerichte ausbalancieren.

All das hängt aber im vorliegenden Fall nicht von der Entscheidung der Bundesregierung ab. Es kommt nämlich in jedem Fall zu einem Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann durch die deutsche Justiz. Denn Erdogan hat Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Dieser Straftatbestand schützt die persönliche Ehre eines jeden Menschen. Wenn also argumentiert wird, die Bundesregierung habe richtig gehandelt, weil nun unabhängige Gerichte entscheiden, dann wird übersehen, dass dies ohnehin der Fall ist.

Vergleiche mit einer Quasi-Begnadigung oder mit angeblichen Sonderrechten für Satiriker, die nicht über dem Gesetz stehen sollen, überzeugen ebenso wenig: Jedermann muss sein Verhalten am Maßstab des Beleidigungsparagrafen messen lassen, wenn das Opfer Strafantrag stellt – auch Böhmermann. Und das ist auch gut so. Denn niemand steht über dem Gesetz.

Für die Entscheidung der Bundesregierung ist aber etwas anderes maßgeblich – nämlich, ob es im vorliegenden Fall angemessen ist, dass das erhöhte Strafmaß der Beleidung eines Staatsoberhauptes zur Anwendung kommen soll. Denn eine gewöhnliche Beleidung ist maximal mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bewährt. Die Beleidigung eines Staatsoberhauptes dagegen kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden – immerhin das dreifache Höchststrafmaß.

Das Argument, die Bundesregierung wende mit der vorgetragenen Entscheidung nur das geltende Recht an, trägt also nicht. Denn hätte die Bundeskanzlerin das genaue Gegenteil verkündet, so hätte sie sich damit ebenfalls im Rahmen des geltenden Rechts befunden. Ihr kommt ja gerade eine Entscheidungsbefugnis zu, die Ermächtigung zu erteilen oder auch nicht. Der Bundesregierung ist der Vorwurf zu machen, dass sie ohne Not eine schärfere Bestrafung von Böhmermann ermöglicht, obwohl die Grenzen der Satire auch im Rahmen des Prozesses nach dem einfachen Beleidigungsparagraphen ausgelotet werden können. Für ihre Entscheidung muss also maßgeblich sein, ob dieser erhöhte Strafrahmen angemessen ist. Da das deutsche Strafrecht dem Gedanken des objektiven Rechtsgüterschutzes folgt, ist zu fragen, welches Rechtsgut hier zusätzlich verletzt worden sein soll, das so hochrangig ist, dass der dreifache Strafrahmen angemessen wäre.

Gewiss lässt sich kaum argumentieren, dass die Würde und persönliche Ehre eines Staatsoberhauptes gewisser Maßen drei Mal so wertvoll wäre, wie die eines jeden anderen Bürgers. Schließlich sprechen die Würde eines jeden Menschen unabhängig von seinem Rang in Staat und Gesellschaft und der Gleichheitssatz des Grundgesetzes eine völlig andere Sprache. Eine Rangabstufung beim Schutz der persönlichen Ehre hat der Gesetzgeber auch gar nicht gewollt. Denn das Schutzgut der Tatbestände von Straftaten gegen ausländische Staaten, wie es rechtstechnisch heißt, hat vielmehr mit der völkerrechtlichen Stellung der Bundesrepublik als zivilisiertes Mitglied der Völkergemeinschaft und dem Schutz der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik zu tun. Für die Frage, ob der dreifache Strafrahmen angemessen ist, ist also entscheidend, ob die auswärtigen Angelegenheiten der Bundesrepublik und ihre Politik gegenüber anderen Staaten entsprechend schwer belastet sind, dass eine dreifache Strafwürdigkeit vorliegt.

Diese Frage können Gerichte kaum alleine beantworten, weil sie hoch politisch und – da Diplomatie regelmäßig im Stillen, manchmal auch Geheimen stattfindet – auch nur eingeschränkt den gewöhnlichen Beweismitteln der Strafprozessordnung zugänglich ist. Daher ist es zweckmäßig, dass die Bundesregierung auf Basis ihres Ermächtigungsvorbehaltes prüfen kann, ob der dreifache Strafrahmen zu Anwendung kommen können soll. Die Exekutive ist gezwungen, der strafrechtlichen Bewertung eine eigene politische Bewertung voranzustellen. Denn nur sie ist kompetent, um über die auswärtige Politik der Bundesrepublik und deren Belastung durch die vermeintliche Beleidigung urteilen zu können. Und anders als die Gerichte muss sich die Bundesregierung für ihre Entscheidung, etwa gegenüber der Opposition, öffentlich rechtfertigen.

Einige meinen nun, die gewöhnliche Beleidigung einerseits und die Beleidigung von Staatsoberhäuptern andererseits seien getrennt zu betrachten. Die Bundesregierung habe ihren Blick nur auf letzteres zu richten. Daher zähle das Argument nicht, dass es sowieso zu einem Ermittlungsverfahren komme. Wer so argumentiert, der übersieht wie beide Tatbestände rechtlich miteinander verknüpft sind: Die einfache Beleidigung wird verdrängt, wenn die Bundesregierung ihre Ermächtigung erteilt.

Die Verschränkung von Entscheidungen der Judikative mit Vorentscheidungen der Exekutive ist auch kein Bruch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung. Bestimmte Bereiche des Strafrechts bauen in ähnlicher Weise darauf auf: So knüpfen etwa zahlreiche Straftatbestände des Umweltstrafrechts an Entscheidungen von Behörden an, die die tatsächlichen Auswirkungen einer Handlung auf die Umwelt fachlich besser beurteilen können, als Juristen bei Gericht. Fachleute sprechen auch von verwaltungsakzessorischem Strafrecht, um die Einbindung exekutiver Entscheidungen in die strafrechtliche Würdigung zu betonen.

Wenn die Bundesregierung ihre Entscheidung also nun mit einem pauschalen Hinweis auf die Gewaltenteilung rechtfertigt, versucht sie, sich hinter den deutschen Gerichten verstecken. Schlimmer noch: Sie handelt zutiefst widersprüchlich. Denn einerseits gibt sie durch die erteilte Ermächtigung zu verstehen, dass es angemessen sei, wenn der erhöhte Strafrahmen zu Anwendung gelangt. Andererseits gibt sie zu verstehen, dass sie den gesamten Straftatbestand abschaffen möchte, weil der erhöhte Strafrahmen nicht mehr in die Zeit passe.

Noch schwerer wiegt der außenpolitische Schaden dieser widersprüchlichen Entscheidung: Die Bundesregierung gibt mit ihrer Entscheidung zu erkennen, dass sie von einem schweren Schaden für ihre Außenpolitik durch den Fall Böhmermann ausgeht. Auszusprechen traut sie sich das aber nicht. Es ist unbestritten, dass eine umfassende Lösung der Flüchtlingskrise nur zusammen mit der Türkei funktionieren wird. Aber die vorliegende Entscheidung zeigt jedermann, in welche Abhängigkeit die Bundesregierung sich von der Türkei und ihrem Präsidenten Recep Erdogan begeben hat – eine Abhängigkeit, die nun zur Folge hat, dass ein deutscher Entertainer für sein Verhalten, sollte es zu einer Verurteilung kommen, drei Mal so schwer bestraft werden könnte, als es der Schutz persönlicher Ehre und die Diskussion über die Grenzen der Satire erfordern würde.

Das aber ist genau das falsche politische Signal in einer Zeit des kritischen Dialogs mit der Türkei über Pressefreiheit, gelebte Demokratie und Meinungsvielfalt.